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ECVM – Das große Leid

In der Pferdewelt kursieren viele Kürzel für Krankheiten und Fehlbildungen – eines davon ist ECVM. Hinter diesen vier Buchstaben verbirgt sich eine tiefgreifende Problematik, die noch immer viel zu wenig bekannt ist: Equine Complex Vertebral Malformation, auf Deutsch: Komplexe Wirbelfehlbildung beim Pferd.


Fohlen

Diese Veränderung betrifft den Bereich der Halswirbelsäule und hat weitreichende Auswirkungen – nicht nur auf die Gesundheit des Pferdes, sondern auch auf seine Rittigkeit, seine Lebensqualität und letztlich auch auf die Verantwortung des Menschen in Zucht, Ausbildung und Haltung.


Was ist ECVM?


ECVM steht für eine komplexe Fehlbildung der unteren Halswirbelsäule, insbesondere im Bereich der letzten Halswirbel C6 und C7 – manchmal auch bis in den ersten Brustwirbel (T1) hinein. Die Fehlbildung ist angeboren, also genetisch bedingt, und entsteht bereits im Mutterleib während der Embryonalentwicklung.


Typisch ist eine asymmetrische oder fehlplatzierte Ausbildung von knöchernen Fortsätzen, den sogenannten Transversalfortsätzen. Diese Fortsätze sind entscheidend für die Hebel- und Stützfunktion der Halsmuskulatur. Fehlbildungen führen zu einer einseitigen Belastung, Instabilität und langfristig oft zu Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Verschleißerscheinungen.


Warum haben Pferde ECVM?


Die Ursache liegt in der Zucht – genauer gesagt in der Zucht auf bestimmte Typmerkmale, ohne das Fundament zu prüfen. Besonders betroffen sind moderne Sportpferde, bei denen man Wert auf lange Hälse, schräge Schultern und elegantes Exterieur legt. Dabei gerät oft in Vergessenheit, dass das, was schön aussieht, nicht immer funktional ist.


ECVM ist erblich, wird aber nur selten systematisch erfasst oder gar züchterisch berücksichtigt. Ein Grund: Die Fehlbildung ist äußerlich nicht erkennbar. Viele betroffene Pferde wirken zunächst gesund und zeigen ihre Probleme erst mit Beginn der Ausbildung oder im späteren Trainingsverlauf.


Welche Symptome zeigt ein Pferd mit ECVM?


Die Bandbreite der Symptome ist groß – und oft unspezifisch. Dazu gehören:

  • Widersetzlichkeit beim Reiten (z. B. Kopf hochreißen, Zunge rausstrecken, Bocken)

  • Taktfehler, Stolpern, Koordinationsprobleme

  • Lahmheiten, die nicht lokalisiert werden können

  • Muskelatrophien (v. a. in Schulter- und Halsbereich)

  • Probleme beim Rückwärtsrichten oder Biegen

  • Neurologische Auffälligkeiten, z. B. Unsicherheit beim Hufegeben

  • Satteldruck oder Unwilligkeit beim Aufsteigen


Die Beschwerden sind meist nicht gleich stark und können von Tag zu Tag variieren. Viele Pferde versuchen lange, sich anzupassen – bis irgendwann nichts mehr geht.

Was bedeutet ECVM fürs Reiten?


Reiten setzt eine funktionierende Biomechanik voraus. Ein Pferd, dessen untere Halswirbel instabil oder asymmetrisch sind, kann sich schlicht nicht gesund bewegen. Selbst bei bester Ausbildung und feiner Reittechnik stößt es an anatomische Grenzen.


Häufige Folge: Das Pferd gerät in Schmerzspiralen, entwickelt Compensationshaltungen, und wird mit der Zeit immer schwerer zu reiten oder verweigert komplett die Mitarbeit. Besonders problematisch ist, dass viele dieser Pferde als „verhaltensauffällig“ oder „faul“ abgestempelt werden – und dadurch nicht selten in einem Kreislauf aus Überforderung, falschem Training und Frustration landen.


Warum ist ein Umdenken in der Zucht überfällig?


ECVM ist keine Einzelfallerscheinung. Studien deuten darauf hin, dass ein erheblicher Prozentsatz moderner Sportpferde betroffen ist – teilweise wird von 30–40 % gesprochen. Trotzdem findet die Problematik bislang kaum Eingang in Zuchtentscheidungen.

Das liegt auch daran, dass ECVM derzeit nur durch bildgebende Verfahren (z. B. Röntgen der unteren Halswirbelsäule) sicher erkannt werden kann – und solche Untersuchungen nicht zur Routine gehören. Solange aber nicht systematisch untersucht und erfasst wird, bleiben Träger in der Zucht, und die Krankheit wird weitervererbt.


Ein Umdenken in der Zucht ist dringend notwendig:

  • Die Funktionalität des Bewegungsapparates muss wieder in den Fokus rücken – nicht nur das schöne Äußere..

  • Es braucht verbindliche Standards für röntgenologische Befunde vor dem Zuchteinsatz.

  • Aufklärung bei Züchtern, Trainern und Besitzern muss intensiviert werden.


Fazit: Wissen schützt die Pferde


ECVM ist kein Modebegriff, sondern bittere Realität in vielen Reitställen. Je eher man darüber spricht, desto eher kann betroffenen Pferden geholfen und die weitere Verbreitung eingedämmt werden. Für Pferde mit ECVM bedeutet das nicht zwingend das „Aus“ – aber sie brauchen angepasste Ausbildung, viel körperliche Unterstützung, und vor allem: Verständnis.


Zucht darf nicht nur das Äußere feiern – sie muss das Fundament prüfen. Nur dann haben wir in Zukunft Pferde, die nicht nur schön aussehen, sondern auch gesund, leistungsfähig und zufrieden sind. Und genau das sollte doch das Ziel jeder verantwortungsvollen Pferdehaltung sein.

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