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Wie groß ist eigentlich das „optimale Pferd“?

Über die Entwicklung der Pferdegröße und ihre Bedeutung für Reiter und Pferdegesundheit


Wenn wir heute an das "optimale" Reitpferd denken, haben viele ein großes, edles Tier mit raumgreifenden Gängen im Kopf. Doch wie groß sollte ein Pferd wirklich sein – für sich selbst und im Verhältnis zum Menschen? Dieser Artikel beleuchtet die spannende Entwicklung der Pferdegröße im Lauf der Menschheitsgeschichte, vergleicht Mensch- und Pferdestatur im Wandel der Zeit und wirft einen kritischen Blick auf die körperlichen Belastungen großer Pferde – gestützt durch aktuelle Studien.


Shire Horse

Wie groß war das Pferd bei der Domestikation?


Die ersten domestizierten Pferde waren deutlich kleiner als moderne Reitpferde. Funde aus der Botai-Kultur in Kasachstan (ca. 3.500 v. Chr.) zeigen, dass die frühen Hauspferde kaum größer als 130–140 cm (Stockmaß) waren – also etwa Ponygröße. Sie ähnelten in ihrem Körperbau heutigen Przewalski-Pferden oder robusten Kleinpferderassen wie Fjordpferden oder Koniks.


Diese frühen Pferde wurden zunächst vermutlich vor allem als Fleisch- und Milchlieferanten genutzt. Der Übergang zur Reitnutzung begann später – und mit ihm stieg auch das Interesse an größeren, kräftigeren Pferden.


Größenzunahme durch Zucht – Wunsch oder Notwendigkeit?


Mit dem Einsatz von Pferden im Krieg, bei Transporten und im Ackerbau veränderte sich ihre Statur. Im römischen Reich und besonders im europäischen Mittelalter wurden schwere, große Pferde gezüchtet, um Ritter in Rüstung zu tragen. Destriere – mittelalterliche Kriegspferde – erreichten laut historischen Quellen eine geschätzte Größe von 150–160 cm, also eher kompaktes Warmblutformat. Riesige Kaltblüter kamen erst mit der Entwicklung schwerer Ackergeräte und der Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert in Mode.


Heute schwanken die Größen je nach Rasse stark:

  • Isländer: ca. 135–145 cm

  • Araber: ca. 145–155 cm

  • Warmblüter: ca. 160–175 cm

  • Kaltblüter: bis über 180 cm


Doch nicht jede Größensteigerung war ein evolutionärer Vorteil – oft war es schlicht menschlicher Wunsch nach „mehr“.


Wie groß waren die Menschen damals?


Die durchschnittliche Körpergröße des Menschen hat sich über die Jahrtausende ebenfalls verändert – allerdings weniger drastisch als beim Pferd.


  • Frühzeitliche Reiter der Steppe (z. B. Skythen): ca. 160–165 cm

  • Römische Legionäre: ca. 165 cm

  • Europäisches Mittelalter: oft unter 165 cm

  • Heutige Durchschnittsgröße in Europa:

    • Frauen ca. 165 cm

    • Männer ca. 175–180 cm


Das bedeutet: Früher saßen kleinere Menschen auf kleineren Pferden – und oft war das Größenverhältnis günstiger für das Pferd als bei heutigen 1,80-m-Reitern auf zierlichen Pferden mit 1,45 m Stockmaß.


Belastung durch Größe – Fluch der Giganten?


Größe hat ihren Preis. Große Pferde wirken eindrucksvoll, aber sie sind biomechanisch anfälliger als kleinere Tiere. Andererseits sind die Menschen größer geworden. Was muss man beachten?


Hufe

Große Pferde haben oft im Verhältnis zu ihrer Körpermasse zu kleine Hufe. Das führt zu einer höheren Druckbelastung pro cm² und damit zu Hufrehe, Hornspalten, oder chronischen Lahmheiten.


Studie: Balch et al. (1991) zeigten, dass Warmblüter mit kleinen Hufen signifikant häufiger Hufprobleme entwickeln als gleich große Pferde mit proportional passenden Hufen.


Gelenke & Sehnen

Je größer das Pferd, desto höher die Belastung auf Sehnen, Bändern und Gelenken – besonders im Galopp oder beim Springen. Laut einer Studie von Parkin et al. (2004) steigt das Verletzungsrisiko bei Galopprennpferden mit der Größe deutlich an.


Koordination

Große Pferde mit langen Gliedmaßen brauchen mehr Zeit, um ihre Bewegungen zu koordinieren. Das macht sie häufig weniger wendig und anfälliger für Stolpern und Gleichgewichtsprobleme – besonders bei schlechtem Reitstil oder unpassender Ausrüstung.


Gibt es also ein „optimales“ Maß?


Das „optimale“ Pferd ist kein Zahlenwert – sondern das Pferd, das funktional zum Menschen passt, der es reitet. Wichtig ist dabei:


  1. Verhältnis Reitergewicht zu Pferd Studien empfehlen, dass ein Pferd nicht mehr als 15–20 % seines Körpergewichts tragen sollte – inklusive Sattel. Für ein 500 kg schweres Pferd wären das ca. 75–100 kg. Studie: Powell et al. (2008) zeigen, dass Pferde unter höheren Lasten schneller Ermüdungszeichen zeigen – vor allem bei untrainierter Muskulatur.

  2. Körperproportionen des Reiters Ein großer Reiter auf einem kleinen Pferd kann trotz passendem Gewicht unausgewogen wirken – lange Beine, die unter dem Bauch hängen, führen zu schlechtem Sitz und Problemen beim Einwirken.

  3. Zweckmäßigkeit Für Wanderreiten, Working Equitation oder Geländereiten sind kompakte, wendige Pferde im Bereich 145–160 cm oft ideal. Für Dressur oder Springen können größere Pferde Vorteile haben – sofern ihre Statik stimmt.

Fazit: Groß ist nicht automatisch gut


Die Größe eines Pferdes sagt wenig über seine Eignung oder Belastbarkeit aus. Oft sind kleinere bis mittelgroße Pferde mit stabilem Fundament, gutem Hufwachstum und kräftigem Rumpf wesentlich robuster und langlebiger als hochbeinige Warmblüter mit modischem Exterieur.


Entscheidend ist immer das Gesamtbild: Ein gesundes, tragfähiges Pferd mit passendem Exterieur, guter Bemuskelung und harmonischem Größenverhältnis zum Reiter – das ist das wahre „optimale“ Pferd.


Quellen und Studien:

  • Outram, A. K. et al. (2009): Earliest Horse Domestication. Science, 323(5919)

  • Balch, O. K. et al. (1991): Hoof size and lameness in horses. Equine Veterinary Journal

  • Parkin, T. D. H. et al. (2004): Epidemiology of training and racing injuries in Thoroughbred racehorses. Equine Veterinary Journal

  • Powell, D. M. et al. (2008): Effects of rider weight on horse physiology. Journal of Equine Veterinary Science

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