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Kissing Spines – Wenn die Wirbel sich zu nahe kommen

„Kissing Spines“ – dieser Begriff löst bei vielen Pferdebesitzern sofort Alarm aus. Die Diagnose klingt nicht nur dramatisch, sie ist es in vielen Fällen auch. Denn hinter dem Namen verbirgt sich eine schmerzhafte Veränderung im Rücken des Pferdes, die häufig zu Rittigkeitsproblemen, Lahmheiten oder auffälligem Verhalten führt. Doch was genau steckt hinter den „küssenden Dornfortsätzen“? Woher kommt das Problem – und wie können wir unsere Pferde davor schützen?


Pferderücken

Was sind „Kissing Spines“?


Kissing Spines, korrekt: Overriding or Impinging Dorsal Spinous Processes (ORDSP), sind Veränderungen an den Dornfortsätzen der Brust- und Lendenwirbelsäule. Dornfortsätze sind die nach oben gerichteten Knochenfortsätze jedes Wirbels – gut sichtbar als „Rückenlinie“ des Pferdes.


Normalerweise verlaufen diese Fortsätze mit etwas Abstand zueinander, sodass das Pferd sich frei biegen, dehnen und den Rücken aufwölben kann.

Bei Kissing Spines sind diese Fortsätze pathologisch verengt – sie berühren sich oder reiben sogar aneinander, was zu Knochenschäden, Entzündungen und massiven Schmerzen führen kann.


Woher kommt das?


Die Ursachen sind vielschichtig:

  • Anatomische Veranlagung: Manche Pferde haben von Natur aus enger stehende Dornfortsätze. Das kann genetisch bedingt sein. Diese stellen aber kein Problem dar, solange keiner der folgenden Punkte hinzu kommt.

  • Fehlbelastung und mangelnde Rückenmuskulatur: Wird der Rücken nicht korrekt trainiert oder das Pferd dauerhaft mit durchgedrücktem Rücken geritten, kommt es zu Druck auf die Dornfortsätze.

  • Schlecht passender Sattel: Ein unpassender Sattel führt zu Verspannungen und Fehlhaltungen, die das Problem verschärfen.

  • Früher oder zu intensiver Trainingsbeginn, vor allem ohne Rücksicht auf die körperliche Entwicklung.

  • Unfallbedingte Fehlstellungen oder Schonhaltungen aufgrund anderer Erkrankungen (z. B. Hufprobleme, Lahmheiten).


Was bedeutet das für das Pferd?


Die Symptome sind vielfältig – und nicht immer eindeutig:

  • Widersetzlichkeit beim Reiten (Bocken, Steigen, Verwerfen im Genick)

  • Probleme beim Satteln oder Aufsteigen

  • Rückenschmerzen, Muskelverspannungen

  • Taktfehler oder Lahmheiten ohne klare Ursache

  • Mangelnde Losgelassenheit, keine Dehnung nach vorne-abwärts

  • Plötzlicher Leistungsabfall oder Unwilligkeit


Wichtig: Nicht jeder Befund auf dem Röntgenbild ist automatisch dramatisch. Manche Pferde mit starkem Röntgenbefund haben kaum Symptome, andere mit geringfügigen Veränderungen leiden erheblich. Die Klinik zählt – nicht nur das Bild.


Was tun bei der Diagnose?


Die Diagnose erfolgt meist per Röntgen. Zusätzlich helfen Szintigrafie oder Ultraschall, um Entzündungen sichtbar zu machen.Nach der Diagnose kommt es auf einen ganzheitlichen Behandlungsplan an:


  1. Schmerzlinderung: z. B. durch entzündungshemmende Medikamente, Injektionen oder Stoßwellentherapie.

  2. Physiotherapie & Osteopathie: zur Lösung von Verspannungen und Verbesserung der Beweglichkeit.

  3. Aufbau der Rückenmuskulatur: durch gezieltes Training – oft an der Longe, mit viel Arbeit an der Dehnungshaltung und korrektem Longieren mit Übergängen.

  4. Sattelanpassung: Ein passender Sattel ist Pflicht.

  5. Reitstil überdenken: Nur ein Pferd, das sich über den Rücken bewegt, hat eine Chance auf Besserung. Rückenschonendes Reiten, viel Abwechslung und Gelände sind sinnvoll.

  6. Chirurgie (als letztes Mittel): In schweren Fällen kann eine OP helfen, bei der Dornfortsätze gekürzt oder entfernt werden. Das ist jedoch kein Selbstläufer – Reha und gezielter Muskelaufbau bleiben entscheidend.


Kann man Kissing Spines vermeiden?


Je nach angeborener Rückenform nicht immer – aber das Risiko lässt sich massiv verringern:

  • Späterer Ausbildungsbeginn: Die Wirbelsäule eines Pferdes ist erst mit 6–7 Jahren voll entwickelt. Früh gerittene Pferde sind besonders gefährdet.

  • Systematischer Muskelaufbau vor Belastung: Ein Pferd braucht tragfähige Rückenmuskeln, bevor es einen Reiter tragen kann.

  • Funktioneller Reitstil: Kein Hohlkreuzreiten, kein Ziehen am Zügel, sondern Reiten in Selbsthaltung und Balance.

  • Sattel regelmäßig kontrollieren: Pferde verändern sich – auch der Sattel muss mitwachsen.

  • Viel Abwechslung im Training: Bodenarbeit, Longieren, Handarbeit, Geländetraining – alles, was den Rücken stärkt, hilft.

  • Pferde nicht „auf Linie“ züchten, sondern auf funktionalen Körperbau achten – zu kurze Rücken, tiefe Gurtlagen und steile Kruppe sind Risikofaktoren.


Fazit: Rückenschmerzen sind keine Kleinigkeit


Ein Pferd mit Kissing Spines ist kein hoffnungsloser Fall – aber es braucht Verständnis, Zeit und einen klaren Plan. Vieles lässt sich managen oder verbessern, wenn man bereit ist, neue Wege zu gehen. Noch besser ist es, vorzubeugen, statt später zu reparieren.

Denn der Rücken ist nicht nur der Trageapparat, sondern auch der emotionale Mittelpunkt des Pferdes – und wer sein Pferd wirklich „durchlässig“ reiten will, sollte dort anfangen: mit Rückenverstand statt Reitgewalt.

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