Thermoregulation beim Pferd – Decke an oder aus?
- sabinelagies
- 25. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Juni
Der Sommer naht, die Sonne brennt – und die Frage taucht überall auf: Braucht mein Pferd jetzt Schatten? Eine Decke gegen Gewitterschauer? Oder sogar eine Abschwitzdecke im Stall? Dabei lohnt sich ein Blick auf die natürliche Thermoregulation des Pferdes – denn die zeigt uns ziemlich klar, was ein Pferd wirklich braucht und was eher menschliche Projektion ist.

Was verträgt ein Pferd besser – Hitze oder Kälte?
Ganz eindeutig: Kälte. Pferde sind von Natur aus sehr gut an kalte Temperaturen angepasst. Ihr Fell ist in der Lage, durch Aufrichten der Haare isolierende Luftpolster zu bilden, und durch den geringen Anteil an Körperoberfläche im Verhältnis zur Körpermasse verlieren sie vergleichsweise wenig Wärme – ein Prinzip, das bei großen Tieren häufiger zu finden ist.
Wärme hingegen stellt für Pferde eine größere Herausforderung dar. Pferde haben weniger Schweißdrüsen als Menschen, müssen also beim Schwitzen sehr viel Flüssigkeit aufbringen, um überschüssige Wärme loszuwerden. Das macht sie hitzeempfindlicher – besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit.
Braucht ein Pferd Schatten?
Ja – bei Hitze ist Schatten wichtig, besonders bei praller Sonne und hoher Luftfeuchtigkeit.Obwohl Pferde sich grundsätzlich gut an heiße Temperaturen anpassen können (insbesondere Pferde mit kurzem, hellem Fell), zeigt die Forschung:
Pferde nutzen Schatten, wenn er zur Verfügung steht.
Besonders dunkle Pferde, Pferde mit dichterem Fell oder gesundheitlichen Einschränkungen suchen Schatten aktiv auf.
Dazu passt eine Studie der schwedischen Universität Uppsala (Mejdell et al., 2016), in der Pferde die Wahl hatten zwischen Schatten, Sonne, Decke oder ohne Decke. Das Ergebnis:
Die Pferde nutzen Schatten häufiger als offene, sonnige Flächen – ein klarer Hinweis auf ihre Bedürfnisse bei Hitze.
Was ist mit Regen?
Regen wird von vielen Pferdebesitzern als „untragbar“ eingeschätzt – dabei sind Pferde gegen Nässe gut gewappnet, sofern sie nicht geschoren oder krank sind.
Das Fell eines Pferdes besteht aus zwei Schichten:
Deckhaar: lang, wasserabweisend, leitet Regen nach außen ab
Unterwolle: fein, dicht, isoliert
Bei ungeschorenen Pferden perlt Regen an den Deckhaaren ab und wird seitlich abgeleitet. Solange das Pferd nicht durchweicht bis auf die Haut, bleibt es unter dem Fell trocken und warm. Das funktioniert allerdings nur, wenn das Pferd genug Bewegungsmöglichkeiten hat – dann erzeugt es Körperwärme und trocknet sich bei Regen von selbst.
Ein Pferd bei leichtem Regen in Bewegung auf der Weide ist weniger gefährdet als ein in der Box stehendes Pferd mit Decke, das sich nicht mehr selbst regulieren kann.
Nutzen oder schaden Decken?
Hier wird’s interessant – denn das hängt ganz klar vom Einzelfall und dem Wetter ab.
Gesunde, ungeschorene Pferde brauchen keine Regendecke – sie regulieren sich selbst.
Im Winter gilt: Pferde frieren nicht bei 0 °C, sondern eher bei +5 bis +10 °C und Regen, wenn das Fell durchnässt ist und keine Bewegung möglich ist.
Abschwitzdecken können sinnvoll sein, wenn ein Pferd im Winterfell nach dem Reiten stark geschwitzt hat und nicht geschoren oder Zugluft ausgesetzt ist.
Sommerdecken und Fliegendecken sollten nicht automatisch verwendet werden – denn sie verhindern die körpereigene Verdunstungskühlung.
Hitzestau unter Fliegen- und Ekzemerdecken – ein unterschätztes Problem
Immer häufiger sieht man Pferde im Sommer vollständig eingedeckt – mit Fliegendecken, Ekzemerdecken oder Kombimodellen. Die Absicht dahinter ist verständlich: Schutz vor Insekten, UV-Strahlung und Scheuerstellen. Doch viele dieser Decken führen unbeabsichtigt zu einem Hitzestau, der die natürliche Thermoregulation massiv beeinträchtigt.
Eine Untersuchung der schwedischen Universität SLU (Sveriges lantbruksuniversitet) und eine weitere Studie der Hochschule Nürtingen-Geislingen (2020) haben die Temperatur unter Ekzemerdecken gemessen – mit besorgniserregenden Ergebnissen:
Bei Außentemperaturen von 25–28 °C wurden unter hellen, enganliegenden Decken teilweise über 40 °C gemessen.
Besonders dunkle oder schlecht belüftete Modelle zeigten eine geringere Verdunstungskühlung, was zu starker Hitzebelastung führen kann.
Auch die Hautfeuchtigkeit stieg deutlich an – was das Risiko für Hautirritationen, Pilze oder Sommerekzem-Schübe erhöhen kann, statt sie zu verhindern.
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Fliegen- oder Ekzemerdecken nicht grundsätzlich falsch, aber kritisch zu hinterfragen sind – insbesondere bei stehenden Pferden in praller Sonne.
Wichtig: Wenn eine Decke notwendig ist (z. B. beim diagnostizierten Sommerekzem), sollte
auf atmungsaktives, helles Material geachtet werden
das Pferd täglich kontrolliert werden
ausreichend Schatten zur Verfügung stehen.
Pferde haben eine Meinung – Studie zur Deckennutzung
Eine vielzitierte Studie aus Norwegen (Mejdell et al., 2016) zeigte:Pferde können lernen, zu zeigen, ob sie eine Decke anhaben wollen oder nicht.In dem Versuch wurden Pferde darauf trainiert, durch Drücken auf ein Symbol entweder
eine Decke angezogen zu bekommen
eine Decke ausgezogen zu bekommen
oder nichts zu verändern
Das Ergebnis war eindeutig:
Die Pferde zeigten klare Präferenzen, abhängig vom Wetter. Bei Regen und Kälte (ab etwa 5-10°C) bevorzugten sie meist eine Decke, bei Sonne oder Bewegung nicht.
Diese Studie zeigt nicht nur, dass Pferde ein eigenes Temperaturempfinden haben, sondern auch, dass sie in der Lage sind, aktiv mitzuteilen, was sie möchten – wenn man ihnen die Möglichkeit gibt.
Pferde passen sich dem Wetter an – wenn man sie lässt
Ein oft unterschätzter Aspekt der Thermoregulation ist das tägliche Verhalten von Pferden bei Hitze. In freier Wildbahn – und auch bei entsprechender Haltung – zeigen Pferde ein ganz natürliches Anpassungsverhalten:
In den kühleren Nacht- und Morgenstunden sind sie aktiv, fressen, bewegen sich, spielen oder wandern weite Strecken.
Während der heißen Tageszeit hingegen ziehen sie sich zurück, stehen ruhig im Schatten, dösen oder ruhen im Stehen.
Dieses Verhalten ist ein effizienter Schutz vor Überhitzung und Insektenbelastung. Wer Pferden Zugang zu schattigen Flächen, Offenställen oder Bäumen gewährt, kann beobachten, wie sie diese Zeiten selbstständig strukturieren.
Eingeschränkter Weidegang ausschließlich tagsüber, ohne Schatten oder Ausweichmöglichkeiten, zwingt die Tiere in eine unnatürliche Aktivitätsphase, die das Risiko für Hitzestress und Kreislaufprobleme erhöht. Besonders bei älteren, kranken oder dunklen Pferden ist das kritisch.
Pferde wissen instinktiv, was ihnen guttut – wenn wir sie lassen.
Fazit – Was bedeutet das für die Pferdehaltung?
Pferde sind keine tropischen Tiere, sondern Steppenbewohner – an Wind, Wetter, Kälte und Bewegung angepasst.Deshalb gilt:
Kälte ist besser verträglich als Hitze
Schutz vor Sonne und Insekten ist wichtiger als vor Schnee
Regen ist kein Drama – Bewegung und trockenes Unterfell sind entscheidend
Decken sind keine Pflicht, sondern sollten situativ eingesetzt werden
Pferde können (und wollen) mitreden – wenn man sie lässt.
Thermoregulation ist kein Modethema, sondern eine Frage des Respekts vor dem Pferd. Wer das versteht, kann seine Pferde mit mehr Augenmaß und weniger Plastik ausstatten – und ihnen das geben, was sie wirklich brauchen: Wahlfreiheit, Bewegung und gelegentlich ein schützendes Dach.


