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Aktivstall – Bewegte Pferde, bewegte Meinungen

Der Aktivstall gilt als moderne Antwort auf die Frage: Wie hält man Pferde artgerecht, sicher und trotzdem effizient? Das Konzept verspricht mehr Bewegung, Sozialkontakt, freie Futteraufnahme und technische Unterstützung – doch wie sieht es in der Realität aus? Für welche Pferde ist ein Aktivstall geeignet? Wo liegen die Vorteile, aber auch die Herausforderungen? Und was sagt die Wissenschaft?


Aktivstall

Was ist ein Aktivstall?


Ein Aktivstall (auch Bewegungsstall genannt) ist eine Form der Gruppenhaltung, bei der Pferde durch ein durchdachtes Stall- und Wegekonzept zu mehr Bewegung animiert werden – ganz ohne Zwang.


Zentrale Merkmale sind:

  • Automatische Fütterung (Heu, Kraftfutter, Mineralfutter) über Chips oder Transponder

  • Mehrere Funktionsbereiche: Liegeflächen, Heu-Stationen, Tränken, Kraftfutterstationen, oft weit auseinanderliegend

  • Feste Herdenstruktur, oft mit 10–30 oder mehr Pferden

  • Teilweise auch Zugang zu Paddocks, Wälzplätzen und Weideflächen


Ziel ist, das natürliche Bedürfnis nach Bewegung, Sozialkontakt und freier Nahrungsaufnahme zu erfüllen – so nah wie möglich am Vorbild „freilebende Herde“.


Vorteile des Aktivstalls


  • Mehr Bewegung: Pferde legen im Aktivstall oft 6–15 km pro Tag zurück – deutlich mehr als in Boxenhaltung. Das fördert Kreislauf, Muskulatur, Stoffwechsel und Verdauung.

  • Soziale Kontakte: Pferde leben im Herdenverband mit klaren sozialen Strukturen – das entspricht ihrem Wesen als Herdentiere und reduziert Stress (wenn die Gruppe stabil ist).

  • Artgerechtes Fressverhalten: Mehrere kleine Futterportionen über den Tag verteilt kommen dem natürlichen Dauerfresserverhalten entgegen. Die Gefahr von Magengeschwüren sinkt deutlich.

  • Strukturierter Alltag: Die Pferde beschäftigen sich selbst, warten nicht passiv auf den Menschen. Langeweile und Stalluntugenden werden reduziert.

  • Arbeits- und Zeitersparnis für den Betreiber: Dank automatisierter Fütterung und Selbstversorgung der Pferde bleibt mehr Zeit für Pflege und Kontrolle.


Nachteile und Herausforderungen


  • Gruppendynamik kann problematisch sein: Nicht jedes Pferd findet leicht seinen Platz in einer bestehenden Herde. Neueinführungen sind heikel und brauchen Fingerspitzengefühl.

  • Rangniedrige Tiere können unterversorgt bleiben trotz Chipsteuerung – etwa, wenn sie sich nicht trauen, in bestimmte Bereiche zu gehen.

  • Nicht für jedes Pferd geeignet:

    • Kranke, lahmende, sehr alte oder schwache Pferde kommen in einer bewegungsintensiven Gruppe oft nicht zurecht.

    • Auch Pferde mit sozialen Defiziten oder starker Futteraggression können Schwierigkeiten bereiten.

  • Technikabhängigkeit: Futterstationen und Transpondersysteme sind wartungsintensiv. Ein Ausfall der Technik kann schnell zum Versorgungsproblem werden.

  • Kosten und Planung: Der Aufbau eines funktionierenden Aktivstalls erfordert hohe Investitionen, gute Planung und Know-how. Eine schlechte Umsetzung kann schnell ins Gegenteil kippen.


Was sagt die Wissenschaft?


Diverse Studien belegen die Vorteile des Aktivstalls:


  • Bewegung & Gesundheit Eine Studie der Hochschule Nürtingen-Geislingen (2012) zeigte, dass Pferde im Aktivstall durchschnittlich 7 bis 12 Kilometer täglich zurücklegen – etwa das Fünffache im Vergleich zur Boxenhaltung. Das reduziert nachweislich das Risiko für Koliken, Hufrehe und Übergewicht.

  • Stresslevel & Sozialverhalten Untersuchungen zur Herzfrequenzvariabilität (HRV) und zum Kortisolspiegel zeigen: Pferde in stabilen Aktivstallgruppen haben niedrigere Stresswerte als Boxenpferde – vorausgesetzt, die Gruppe ist sozial intakt.

  • Futterverwertung & Magen-Darm-Gesundheit Durch die häufige Aufnahme kleiner Futtermengen wird die Magensäure besser gepuffert. Studien (u.a. Zentgraf, 2014) zeigen eine signifikante Reduktion von Magengeschwüren in Offen- und Aktivställen gegenüber Boxenhaltung.


Für welche Pferde ist der Aktivstall geeignet?


  • Gesunde, sozial verträgliche Pferde, die Bewegung lieben und sich in Gruppen wohlfühlen

  • Freizeitpferde mit ausreichend Zeit zur Eingewöhnung

  • Robuste Pferderassen, die nicht zu sensiblen Beinen oder Stoffwechselproblemen neigen

  • Pferde mit EMS oder leichtem Übergewicht, die von der Bewegung profitieren


Weniger geeignet ist der Aktivstall für:


  • Akut kranke oder rekonvaleszente Pferde

  • Pferde mit starkem Sozialstress oder Panikverhalten in Gruppen

  • Hochleistungssportpferde, die spezifische Trainings- und Ruhezeiten brauchen

  • Sehr alte oder gebrechliche Pferde ohne Rückzugsmöglichkeit


Fazit: Aktivstall – ja, aber mit Köpfchen


Der Aktivstall kann eine enorme Bereicherung für Pferd und Mensch sein – wenn er gut durchdacht, professionell geführt und individuell angepasst ist.Die Grundvoraussetzung ist eine stabile Herdenstruktur, viel Platz, klare Abläufe und ein Betreiber, der die Pferde gut kennt und regelmäßig kontrolliert.


Nicht jedes Pferd profitiert automatisch – aber viele blühen regelrecht auf. Der Aktivstall ersetzt nicht die Verantwortung des Menschen – aber er bietet dem Pferd ein Leben, das näher an seiner Natur ist als jede Box.


Und das ist vielleicht das größte Argument:


Wer ein Pferd artgerecht halten will, sollte es ihm ermöglichen, einfach es selbst sein zu dürfen. Für viele Pferde könnte das in einem Aktivstall gegeben sein.

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