Spanische Pferde & Isis im deutschen Offenstall: Missverständnisse im Sozialverhalten
- sabinelagies
- 31. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Immer mehr Iberer finden ihren Weg nach Deutschland: PREs, Lusitanos oder Cruzados: Spanische Pferde sind beliebt wegen ihrer Schönheit, ihres Charakters und ihrer Reitqualität. Doch in vielen Ställen hört man: „Die Spanier sind schwierig, die verstehen unsere Pferde nicht.“ Schnell werden sie als „zickig“ oder „unsozial“ abgestempelt. Ähnlich geht es den Isis. Sie stehen im Ruf, sich nur mit anderen Isländern zu vertragen. Aber stimmt das wirklich? Oder liegt das Problem eher an unseren hiesigen Pferden – und ihrer Art, aufzuwachsen?

Aufwachsen in Spanien: Pferde unter Pferden
In Spanien wachsen Pferde oft in einer ganz anderen Umgebung auf als bei uns. Typisch sind riesige Flächen von mehreren Hektar pro Gruppe, auf denen Stuten, Fohlen und Jungpferde gemeinsam leben. Hengstfohlen werden nicht früh separiert oder kastriert, sondern bleiben oft jahrelang in den Gruppen. Menschlicher Kontakt beschränkt sich auf das Nötigste – Weidekontrolle, Füttern, gesundheitliche Checks.
Das bedeutet:
spätes Absetzen (meist erst nach einem Jahr oder länger)
Heranwachsen in großen Gruppen (20, 30 oder mehr Pferde auf dutzenden Hektar)
Hengste lernen Sozialverhalten statt isoliert aufzuwachsen
wenig Menschenkontakt in der Jugend
Die Folge:
Diese Pferde sind oft sehr sozial kompetent. Sie haben gelernt, Konflikte über Körpersprache zu lösen, klare Signale zu senden und zu deuten. Ein „Ohren anlegen“ reicht, und jeder weiß, was gemeint ist. Körperliche Auseinandersetzungen sind seltener als bei Pferden, die in Kleingruppen oder isoliert aufgewachsen sind. Ähnliches gilt für die Isländer.
Aufwachsen in Deutschland: Sozialdefizite durch Management
Im Gegensatz dazu ist es bei uns üblich:
Fohlen werden früh abgesetzt (mit 6 Monaten)
Hengstfohlen werden meist bald kastriert und isoliert
Jungpferde wachsen oft in kleinen Gruppen auf (2–5 Tiere)
Weideflächen sind deutlich kleiner (manchmal nur 0,5–1 ha)
mehr Menschkontakt, weniger Pferdeerfahrung
frühe Fohlenprogramme
Das Ergebnis:
Viele deutsche Pferde entwickeln ein weniger differenziertes Sozialverhalten. Sie kennen keine große Herde mit klarer Dynamik, sondern wachsen in Kleingruppen mit viel Fluktuation auf. Dadurch fehlt ihnen oft die Fähigkeit, feine Signale zu senden oder rechtzeitig zu deeskalieren. Das erklärt, warum manche Warmblüter oder Ponys mit Spaniern oder Isländern Schwierigkeiten haben – und nicht umgekehrt.
Typische Missverständnisse im Stallalltag
Spanier legt die Ohren an → Warmblut reagiert nicht: Der Spanier steigert die Drohung, weil das Signal nicht verstanden wird. Für den Menschen sieht es aus wie „zickig“.
Spanier weicht sofort, wenn Mensch kommt → Warmblut bleibt stehen: Besucher wundern sich, dass Spanier scheinbar „so brav“ sind, dabei ist es schlicht gutes Sozialverhalten: Ausweichen ist Höflichkeit.
Spanier macht einen Satz bei Schreck → bleibt sofort stehen: Während ein Warmblut vielleicht flüchtet, reguliert sich der Spanier schneller, weil er gelernt hat, seine Energie gezielt einzusetzen.
Praxisbeispiele
Integration eines PRE in eine Warmblutgruppe: Der PRE zeigt sofort klare Signale (Ohren anlegen, angedeutetes Drohen). Das Warmblut reagiert nicht oder zu spät, so dass es zu echten Remplern kommt. Erst mit zusätzlichem Platz und mehreren Heufutterstellen entspannt sich die Lage.
Neuer Cruzado in einer ruhigen Herde: Der Cruzado tritt defensiv auf, weicht freundlich, sucht keine Konflikte. Die Gruppe nimmt ihn schnell an. Bereits nach wenigen Tagen frisst er neben den anderen. → Beispiel dafür, wie Charakter und Haltungskonzept Integration erleichtern.
Hengst in Spanien vs. Deutschland: Ein spät kastrierter Spanier, der jahrelang im Herdenverband lebte, kann sehr sozial sein, weil er gelernt hat, Respekt und Grenzen zu wahren. Ein früher kastrierter Warmblüter, der isoliert aufgewachsen ist, kennt solche Codes nicht.
Parallelen zu Isländern
Auch bei Isländern hört man oft: „Die passen nicht zu anderen Pferden.“ Der Grund ist ähnlich wie bei Spaniern: Viele Isländer wachsen in Island in großen, weitläufigen Herden auf, mit spätem Absetzen und wenig Menschenkontakt. Sie sind ebenfalls sozial kompetent und reagieren irritiert, wenn deutsche Pferde ihre feinen Signale nicht verstehen. Das führt zu denselben Missverständnissen – und fälschlicherweise zum Ruf, die Isländer seien „zänkisch“.
Was bedeutet das für uns?
Nicht die Spanier oder die Isländer sind das Problem – sondern die Lücke bei unseren Pferden.
Wer Spanier oder Isländer integriert, sollte auf viel Platz, viele Futterstellen und Zeit setzen.
Sozial starke Pferde können helfen, Struktur in eine Gruppe zu bringen – wenn man ihnen die Chance gibt.
Menschen profitieren ebenfalls: Pferde, die gelernt haben, auszuweichen und Signale zu lesen, machen den Stallalltag oft sicherer und angenehmer.
Fazit
Das Etikett „Spanier sind schwierig“ hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Tatsächlich bringen sie ein oft überlegenes Sozialverhalten mit – nur kollidiert das mit den Defiziten hiesiger Pferde. Wer diese Unterschiede kennt, kann Missverständnisse vermeiden und Integration erfolgreich gestalten. Im Idealfall lernen auch unsere Warmblüter von den Spaniern – und nicht umgekehrt.
Literaturhinweise
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