top of page

Der Schimmel - ein Alien?

Schimmel sind in der Pferdewelt beliebt – das helle, oft reinweiße Fell gilt als elegant, edel und auffällig. Doch in der Natur kommen sie praktisch nicht vor.


Viele Reiter kennen die Situation: In einer bunt gemischten Pferdeherde scheint ausgerechnet der Schimmel häufiger Probleme zu haben – sei es in Form von Rangordnungskonflikten, auffälligem Verhalten oder einer höheren Verletzungsrate. Manchmal wirkt es, als würden diese hellen Pferde von Artgenossen öfter ins Visier genommen oder schlicht weniger unauffällig in der Gruppe agieren. Aber steckt dahinter nur subjektive Wahrnehmung – oder gibt es tatsächlich biologische, soziale oder evolutionsbedingte Gründe, warum Schimmel in farbigen Gruppen manchmal schlechter zurechtkommen?


Dieser Artikel beleuchtet mögliche Ursachen – von Sichtbarkeit in der Natur über soziale Interaktionen bis zu gesundheitlichen Aspekten – und stützt sich dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Beobachtungen aus der Praxis.


Schimmel

1. Schimmel in der Natur – ein seltener Anblick


In freilebenden Pferdepopulationen wie den Przewalski-Pferden oder Mustangs dominieren gedeckte Farben wie Falb, Braun oder Schwarzbraun. Diese Tarnfarben verschmelzen mit der Umgebung und bieten Schutz vor Fressfeinden. Helle oder reinweiße Tiere sind dort extrem selten.Der Grund liegt nahe: Auffällige Fellfarben erhöhen die Sichtbarkeit – sowohl für Raubtiere als auch für Artgenossen. Bei Wildtieren stabilisieren sich solche auffälligen Farben in der Regel nur, wenn kaum Prädatoren vorhanden sind oder die Umweltbedingungen sie begünstigen (z. B. arktische Tiere mit weißem Winterfell) (Caro, 2005).


Der „Graufaktor“ – die genetische Mutation, die ein Pferd von Geburt an ausfärben lässt, bis es weiß wird – ist eine vom Menschen geförderte Eigenschaft. Besonders in Rassen, die über Jahrhunderte gezielt gezüchtet wurden, wie Lipizzaner, Andalusier (PRE) oder Araber, ist der Schimmelanteil hoch. In freier Wildbahn hätte diese Farbe wahrscheinlich nur geringe Überlebenschancen.


2. Gesundheitliche Aspekte – das Melanomrisiko


Ein bekanntes gesundheitliches Thema bei Schimmeln ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens Melanome zu entwickeln. Diese Hauttumoren treten vor allem unter dem Schweif, an der Schweifrübe, am Kopf oder um die Genitalregion auf. Studien zeigen, dass bis zu 80 % der älteren Schimmel betroffen sein können (Rieder et al., 2008).In menschlicher Obhut lässt sich mit Tumoren oft lange leben, in freier Wildbahn hingegen könnte die Einschränkung durch Tumoren oder Metastasen die Fitness und Überlebenschancen deutlich senken.


3. Auffälligkeit in der Gruppe – mehr als nur Optik


Pferde sind visuell sehr aufmerksame Herdentiere. Ein einzelner Schimmel in einer Herde dunkler Pferde sticht sofort ins Auge – und das nicht nur für Menschen. Beobachtungen aus gemischten Gruppen deuten darauf hin, dass helle Pferde öfter die Aufmerksamkeit ihrer Artgenossen auf sich ziehen.Das kann neutral (Neugierverhalten), spielerisch oder auch negativ (häufigeres Drohen, gezieltes Vertreiben) ausfallen. Auch wenn belastbare wissenschaftliche Studien speziell zu Fellfarbe und Aggression bei Pferden fehlen, gibt es Parallelen aus anderen Herdentieren wie Rindern oder Zebras, bei denen Fellmuster und -farbe das Sozialverhalten beeinflussen können (Grandin, 2000; Caro et al., 2014).


4. Bedeutung für die Gruppenhaltung


In der Offenstall- oder Gruppenhaltung kann ein Schimmel – je nach individueller Herde – mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als ein weniger auffälliges Pferd. Das ist nicht automatisch ein Problem, aber in sensiblen Phasen wie einer Integration oder bei Rangordnungsstreitigkeiten kann es den Stresspegel für das helle Pferd erhöhen.Pferdebesitzer können darauf achten, Integrationen schrittweise vorzunehmen, genügend Platz und Rückzugsbereiche zu schaffen und soziale Kontakte im Vorfeld über Zaunkontakt aufzubauen.


5. Fazit


Schimmel sind im Menschenhand seit Jahrhunderten geschätzt – in der Natur jedoch seltene Ausnahmen. Ihre auffällige Farbe, genetische Besonderheiten und das höhere Risiko für Melanome machen sie zu einer spannenden, aber manchmal auch herausfordernden Fellfarbe in der Pferdehaltung. Wer einen Schimmel hält, profitiert von zusätzlicher Aufmerksamkeit bei Hautkontrollen und einem wachen Blick für das Sozialgefüge in der Herde.


Literatur

  • Caro, T. (2005). The adaptive significance of coloration in mammals. BioScience, 55(2), 125–136.

  • Caro, T., Izzo, A., Reiner, R. C., Walker, H., & Stankowich, T. (2014). The function of zebra stripes. Nature Communications, 5, 3535.

  • Grandin, T. (2000). Livestock handling and transport. CABI Publishing.

  • Rieder, S., Taourit, S., Mariat, D., Langlois, B., & Guérin, G. (2008). Mutations in the agouti (ASIP), the extension (MC1R), and the grey (STX17) loci and their association to coat color phenotypes in horses (Equus caballus). Animal Genetics, 39(3), 306–310.

bottom of page