top of page

Thermoregulation beim Pferd – warum Pferde Wetter anders empfinden als wir

Kennst du das? Die Sonne scheint, es sind angenehme 22 Grad – du stehst im T-Shirt auf der Weide und dein Pferd? Das hat sich längst in den schattigen Stall verzogen. Oder umgekehrt: Es regnet, ist windig und kalt, du willst am liebsten nach drinnen – und dein Pferd steht seelenruhig draußen und döst im Regen. Das wirkt erstmal seltsam, macht aus Sicht des Pferdes aber total Sinn. Denn Pferde empfinden Wetter ganz anders als wir. Warum das so ist, was ihr Körper kann und wie du dein Pferd bei jedem Wetter gut unterstützt, liest du hier – mit Studien, Fakten und vielen Aha-Momenten.


Pferde im Regen

Pferde ticken anders: Von der Steppe in unseren Stall


Pferde sind ursprünglich Steppentiere. Sie stammen aus offenen, oft windigen Landschaften mit großen Temperaturschwankungen. Ihr Körper ist darauf ausgelegt, mit Kälte, Wind und viel Bewegung klarzukommen. Wir Menschen hingegen sind Tropenbewohner – mit wenig Körperbehaarung, aber großer Vorliebe für Wärme, Sonne und kuschelige Kleidung. Deshalb empfinden wir Hitze oft als angenehm – Pferde dagegen nicht unbedingt.


Die Wohlfühltemperatur des Pferdes


Wissenschaftlich nennt man den Bereich, in dem ein Körper seine Temperatur ohne extra Energieaufwand halten kann, die thermoneutrale Zone. Bei gesunden, erwachsenen Pferden liegt sie ungefähr zwischen 5 und 25 Grad Celsius. Wird es wärmer oder kälter, muss der Körper mehr leisten: Bei Hitze durch Schwitzen, bei Kälte durch Zittern oder mehr Energieverbrauch. (Quelle: Cymbaluk & Christison 1990, Morgan 1996)


Natürlich spielt es eine Rolle, ob das Pferd geschoren ist, wie alt es ist, wie viel es wiegt und ob es an Sommer oder Winter gewöhnt ist. Ein Islandpony im Winter kommt mit deutlich kälteren Temperaturen klar als ein Vollblut im Sommer.


So reguliert das Pferd seine Körpertemperatur


1. Das Fell – ein echter Wärmemeister

Im Winter wächst dem Pferd ein dichtes Fell mit weicher Unterwolle. Die Haare stellen sich bei Kälte auf, sodass sich zwischen ihnen eine isolierende Luftschicht bildet – wie bei einer Daunenjacke. Solange das Fell trocken bleibt, ist es ein hervorragender Wärmeschutz. Problematisch wird es erst, wenn Nässe und Wind die isolierende Luftschicht zerstören.


2. Wärme durch Fressen und Bewegung

Pferde erzeugen auch Wärme im Inneren – zum Beispiel durch die Verdauung von Heu. Deshalb ist eine faserreiche Fütterung im Winter besonders wichtig. Auch Bewegung hilft: Beim Laufen oder Spielen entsteht Wärme, die den Körper von innen wärmt.


3. Schwitzen – wichtig, aber verlustreich

Pferde können stark schwitzen. Anders als bei uns enthält ihr Schweiß aber ein spezielles Protein namens Latherin, das den Schaum auf dem Fell verursacht. Beim Schwitzen verliert das Pferd nicht nur Wasser, sondern auch viele Elektrolyte wie Salz, Kalium oder Chlorid. Das ist besonders bei Training oder heißen Tagen wichtig zu beachten (vgl. Marlin & Nankervis 2002).


4. Blutgefäße und Atemwege helfen mit

Bei Hitze weiten sich die Blutgefäße in der Haut, um Wärme abzugeben. Bei Kälte ziehen sie sich zusammen, um Wärme im Körper zu halten. Auch über die Atemwege wird Luft angefeuchtet und erwärmt – besonders an kalten Tagen eine echte Herausforderung für die Atemwege.


5. Körperbau: Mehr Masse = mehr Wärmepuffer

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Verhältnis von Körpermasse zur Körperoberfläche. Große, kompakte Pferde mit viel Körpermasse verlieren relativ weniger Wärme über ihre Haut als schlanke, hochbeinige Pferde. Ein rumpfiges Noriker- oder Fjordpferd bleibt daher bei Kälte deutlich länger warm als ein schlankes Vollblut. Dieses Prinzip nennt man auch das Oberflächen-Gesetz der Thermoregulation: Je kleiner die Oberfläche im Verhältnis zur Masse, desto besser kann Wärme im Körper gehalten werden.


Wie stark sich das unterscheidet, zeigt ein Vergleich zum Menschen:

Spezies

Körpermasse (ca.)

Körperoberfläche (ca.)

Oberfläche-Masse-Verhältnis (SA/M)

Mensch (70 kg)

70 kg

1,8–2,0 m²

~0,026 m²/kg

Pferd (500 kg)

500 kg

6,0–7,0 m²

~0,012–0,014 m²/kg

Der Mensch hat also etwa 60–90 % mehr Oberfläche pro Kilogramm Körpermasse als das Pferd – und verliert entsprechend schneller Wärme. Für Pferde bedeutet das: Je kompakter der Körperbau, desto besser kommen sie mit Kälte zurecht.


Warum gehen Pferde bei Sonne freiwillig in den Stall?


  • Über 20 Grad kann für Pferde schon zu warm sein, vor allem bei Sonne, Windstille oder dunklem Fell.

  • Im Stall ist es oft kühler, schattiger und insektenärmer.

  • Pferde lernen außerdem, dass es dort Futter, Wasser oder Salz gibt – das verstärkt ihre Vorliebe.

  • Viele Ställe sind besser belüftet als manche windgeschützte Weideecke – also ein angenehmerer Aufenthaltsort.


Und warum bleiben sie bei Regen draußen?


  • Kühle Temperaturen liegen oft genau im Wohlfühlbereich.

  • Solange das Fell nicht durchnässt ist und kein starker Wind weht, isoliert es sehr gut.

  • Draußen können sich Pferde bewegen – und Bewegung erzeugt Wärme.

  • Auf der Weide haben sie freie Sicht und Sozialkontakte – das reduziert Stress und ist gut fürs Wohlbefinden.


Kurz und knapp: Pferd vs. Mensch

Thema

Pferd

Mensch

Behaarung

Dichtes Fell, wechselt saisonal

Wenig Behaarung, braucht Kleidung

Wohlfühltemperatur

ca. 5–25 °C

ca. 25–30 °C (nackt, in Ruhe)

Schwitzen

Stark, mit vielen Salzverlusten

Effizient, aber geringere Verluste

Wärme aus dem Futter

Ja, durch Heu und Verdauung

Nein

Komfortverhalten

Sucht bei Wärme Schatten, bei Kälte frische Luft

Umgekehrt

Körperbau

Kompakte Pferde halten Wärme besser

Höheres Wärmeverlust-Risiko durch größere SA/M-Relation


Was heißt das für dein Pferdemanagement?


  • Lass dein Pferd wählen, wo es sich aufhält: Stall, Unterstand, Schatten oder Sonne.

  • Decken nur bei Bedarf: Geschorene, alte, kranke oder sehr dünne Pferde brauchen mehr Schutz. Ansonsten lieber beobachten: Schwitzt es in der Decke? Dann ist es zu warm.

  • Im Sommer Wasser & Elektrolyte anbieten, vor allem bei Hitze oder Training.

  • Im Winter mehr Heu füttern – das wärmt von innen.

  • Auf Körpersignale achten: Struppiges Fell, Frieren oder Schwitzen sind Hinweise, dass etwas nicht passt.


Fazit


Pferde sind keine Menschen mit Hufen. Sie mögen Kälte oft lieber als Wärme, und sie schwitzen nicht gern. Wer sein Pferd richtig managen will, sollte Wahlmöglichkeiten bieten, gut beobachten und sein eigenes Temperaturempfinden hinten anstellen. Denn dein Pferd weiß meistens ziemlich gut selbst, wo es ihm am besten geht.


Studien & Quellen (Auswahl)


  • Cymbaluk, N. F., & Christison, G. I. (1990). Environmental effects on thermoregulation and nutrition of horses. Veterinary Clinics of North America: Equine Practice.

  • Morgan, K. (1996). Thermoneutral zone and critical temperatures of horses. Journal of Thermal Biology.

  • Marlin, D., & Nankervis, K. (2002). Equine Exercise Physiology. Blackwell Science.

  • Geor, R. J., & McCutcheon, L. J. (2008). Thermoregulation and exercise-associated heat stress. In: Equine Sports Medicine and Surgery.

  • Autio, E., et al. (2006). Effects of shelter and feeding level on the behaviour of horses in winter. Applied Animal Behaviour Science.


  • DuBois & DuBois Formel zur Berechnung der Körperoberfläche:BSA (m²) = 0.007184 × Gewicht^0.425 × Größe^0.725

  • Für Pferde: Modelle u. a. von Pagan et al. (Kentucky Equine Research) & Marlin/Nankervis (2002)

  • Thermoregulation: Siehe auch Geor & McCutcheon (2008), Hodgson & Rose (1994)

bottom of page