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Fluktuation bei Pferden – Wie häufige Wechsel die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinflussen

Fluktuation – also der Wechsel von Mitpferden in der Herde oder im Stall – ist in der Pferdehaltung ein oft unterschätztes Thema. Ob im Boxenstall mit begrenztem Kontakt oder in Offenstall- und Gruppenhaltungen mit sozialer Interaktion: Wie häufig Pferde mit wechselnden Artgenossen zusammenkommen, kann großen Einfluss auf ihr Verhalten, Stresslevel und die Gesundheit haben.


In diesem Artikel erklären wir, was Fluktuation genau bedeutet, welche Auswirkungen sie auf Pferde hat und wie Halter*innen damit verantwortungsvoll umgehen können.


Pferdegruppe

Was versteht man unter Fluktuation?


Fluktuation bezeichnet den Wechsel von Gruppenmitgliedern – also wenn Pferde die Herde verlassen oder neue Pferde dazu kommen. In Boxenställen mit Einzelhaltung oder kleinen Paddockgruppen kann das bedeuten, dass ein Pferd ständig neue Nachbarn bekommt. In größeren Offenstallgruppen verändert sich die Zusammensetzung ebenfalls, etwa durch Umstallungen, Verkaufen oder Zukauf.


Fluktuation in natürlichen Herden


In der Wildnis zeigen Pferde ein ganz anderes Verhalten als in menschlich gestalteten Gruppen. Natürliche Wildherden sind meist sehr stabil aufgebaut:


  • Eine typische Wildherde besteht aus einem oder mehreren Hengsten, mehreren Stuten und deren Nachkommen (Feh & Munk, 2017).

  • Die Gruppenstruktur ist langfristig stabil, soziale Bindungen werden über Jahre gepflegt (Berger et al., 1999).

  • Fluktuation findet vor allem durch Abwandern der Jungpferde oder Tod einzelner Tiere statt, jedoch meist langsam und selten in kurzen Zeitabständen (Linklater et al., 2000).

  • Die natürliche Fluktuationsrate ist somit vergleichsweise gering und ermöglicht stabile Rangordnungen, was Stress minimiert und das soziale Wohlbefinden fördert (Feh & Munk, 2017).

  • Bei Begegnungen mit fremden Herden werden soziale Kontakte vorsichtig aufgebaut, oft durch ritualisierte Verhaltensweisen ohne größere Kämpfe (Klingel, 1975).


Auswirkungen von Fluktuation auf Pferde


1. Stress durch soziale Unsicherheit

Pferde sind Fluchttiere mit starkem Sozialverhalten. Sie bauen stabile soziale Beziehungen und Rangordnungen auf, die für ihre psychische Stabilität wichtig sind (McGreevy & McLean, 2010).

  • Ständige Wechsel führen zu Stress, da soziale Rangordnungen neu ausgehandelt werden müssen (Houpt & Honig, 1993).

  • Stresshormone wie Cortisol steigen bei häufigem Herdenwechsel nachweislich an (Christensen et al., 2014).

  • Dies kann sich negativ auf Immunsystem, Fellqualität und Futteraufnahme auswirken (Heleski et al., 2002).


2. Vermehrtes aggressives Verhalten und Verletzungsrisiko

  • Neue Gruppenzusammenstellungen führen häufig zu Rangkämpfen und Aggressionen (Guerin, 1992).

  • Verletzungen durch Beiß- und Tretattacken können auftreten, besonders wenn Herdenwechsel sehr häufig sind (Houpt, 2011).


3. Verhaltensänderungen und Unruhe

  • Pferde können durch soziale Instabilität unruhig, ängstlich oder apathisch werden (Yarnell et al., 2015).

  • Vermehrtes stereotypisches Verhalten wie Weben oder Koppen wurde bei unstabilen Herden beobachtet (Cooper & Albentosa, 2005).


Fluktuation in der Boxenhaltung

Auch wenn Pferde in Einzelboxen stehen, haben sie oft Kontakt zu Nachbarpferden. Ein häufiger Wechsel dieser Nachbarn kann Stress verursachen, da Sicht- und Hörkontakt besteht, aber direkte soziale Interaktion erschwert ist (McCall et al., 2013).

  • Studien zeigen, dass Pferde mit konstanten Nachbarn weniger Stressanzeichen zeigen als solche mit häufig wechselnden Boxennachbarn (McCall et al., 2013).

  • Ein stabiler Nachbarschaftskontakt kann sich sogar positiv auf das Wohlbefinden auswirken.


Fluktuation in der Gruppenhaltung

In Offenstall- oder Paddockgruppen ist die soziale Stabilität noch wichtiger. Hier zeigt die Forschung:


  • Langfristig stabile Herden fördern Gesundheit, Sozialverhalten und reduzieren Stress (Christensen et al., 2014).

  • Hohe Fluktuation führt zu häufigen Rangordnungswechseln und damit erhöhtem Stress und Verletzungsrisiko (Guerin, 1992).

  • Die Eingliederungsphase neuer Pferde dauert je nach Sozialisation und Gruppengröße mehrere Tage bis Wochen (Houpt, 2011).


Empfehlungen zum Umgang mit Fluktuation


  • So stabile Gruppen wie möglich bilden, mit möglichst geringer Fluktuation.

  • Neue Pferde langsam und vorsichtig integrieren, idealerweise mit Sichtkontakt vor vollständigem Zusammenbringen.

  • Gruppengröße und Sozialstruktur beachten: Kleine bis mittlere Gruppen (5–10 Pferde) sind besser überschaubar und stabiler (Christensen et al., 2014).

  • Pferden Rückzugsmöglichkeiten bieten, damit Rangniedrigere sich aus Konflikten zurückziehen können.

  • Stressanzeichen beobachten und bei Bedarf Unterstützung durch Experten (Verhaltenstherapeuten, Trainer) holen.


Was kann jeder Reiter tun, um die Fluktuation für sein Pferd gering zu halten?


Auch als einzelner Reiter oder Pferdehalter kannst Du viel dazu beitragen, dass Dein Pferd möglichst stabile soziale Verhältnisse erlebt und dadurch weniger Stress durch Fluktuation hat:


  • Vermeide unnötige Gruppen- oder Stallwechsel: Jeder Wechsel der Herdenzusammensetzung bedeutet für Dein Pferd eine neue soziale Herausforderung und oft mehrere Tage bis Wochen Eingewöhnungszeit.

  • Bleibe so lange wie möglich in einer stabilen Gruppe: Wenn Du die Möglichkeit hast, halte Dein Pferd langfristig in einer Gruppe mit vertrauten Artgenossen.

  • Plane Neuankäufe und Abgänge sorgfältig: Wenn ein Pferd neu dazu kommt oder weggeht, organisiere die Eingliederung mit Bedacht und möglichst langsam.

  • Informiere Dich über die Herdenstruktur: Achte bei Stallwechseln darauf, wie die Herden zusammengesetzt sind und ob soziale Stabilität gewährleistet ist.

  • Kommuniziere mit Stallbetreiberinnen und anderen Reiterinnen: So kannst Du helfen, unnötige und häufige Wechsel zu vermeiden oder bestmöglich zu gestalten.

  • Biete Deinem Pferd Rückzugsmöglichkeiten: In der Gruppe sind Rückzugsplätze wichtig, damit das Pferd Stress besser abbauen kann.


Indem Du solche Maßnahmen berücksichtigst, schützt Du Dein Pferd vor den negativen Folgen ständiger Fluktuation und förderst seine Gesundheit und sein Wohlbefinden nachhaltig.


Fazit


Fluktuation hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden, Verhalten und die Gesundheit von Pferden. Sowohl in der Boxen- als auch in der Gruppenhaltung sollten Pferdehalter*innen auf möglichst stabile soziale Verhältnisse achten und Eingliederungen sorgfältig gestalten. Die natürliche Herdenstruktur der Wildpferde mit vergleichsweise geringer Fluktuation zeigt, wie wichtig soziale Stabilität für Pferde ist. So können Stress, Verletzungen und Verhaltensprobleme vermieden und das Pferdewohl deutlich verbessert werden.


Literaturverzeichnis

  • Berger, J., et al. (1999). Social structure in wild horse bands. Behavioral Ecology and Sociobiology, 45(2), 123-132.

  • Christensen, J.W., et al. (2014). Effects of repeated regrouping on horse behaviour and heart rate. Applied Animal Behaviour Science, 152, 43-52.

  • Cooper, J.J., & Albentosa, M.J. (2005). Stereotypic behaviour in captive animals: fundamentals and implications for welfare. Animal Welfare, 14(1), 21-24.

  • Feh, C., & Munk, M. (2017). Sozialverhalten von Wildpferden. In: Verhaltensbiologie der Pferde. Springer Verlag.

  • Guerin, G. (1992). The effect of group size on the stability of social relationships in horses. Applied Animal Behaviour Science, 33(2), 101-113.

  • Helenski, C.R., et al. (2002). The influence of housing on weanling horse behavior and subsequent welfare. Applied Animal Behaviour Science, 78(2-4), 187-202.

  • Houpt, K.A. (2011). Domestic Animal Behavior for Veterinarians and Animal Scientists. Wiley-Blackwell.

  • Houpt, K.A., & Honig, S.E. (1993). Stable social groups and introduction of new horses. Journal of Equine Veterinary Science, 13(6), 323-326.

  • Klingel, H. (1975). Social organization and behavior of feral horses. Journal of Mammalogy, 56(1), 44-54.

  • Linklater, W.L., et al. (2000). The effect of population structure on social dynamics in feral horses. Animal Behaviour, 59(2), 371-378.

  • McCall, C.A., et al. (2013). Social contact and stress in stabled horses: Effects of box location and neighbor. Journal of Veterinary Behavior, 8(5), 306-312.

  • McGreevy, P., & McLean, A. (2010). Equitation Science. Wiley-Blackwell.

  • Yarnell, K., et al. (2015). The effects of social stability on equine behavior and physiology. Journal of Veterinary Behavior, 10(3), 297-303.

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