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Aussitzen – zwischen Harmonie und Belastung

  • Autorenbild: sabinelagies
    sabinelagies
  • vor 6 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Für viele Reiter gehört das Aussitzen im Trab zu den größten Herausforderungen der Reiterei. Die Bewegungen des Pferdes fühlen sich holprig an, der Oberkörper schwingt unkontrolliert mit, die Beine klammern oder rutschen, und im schlimmsten Fall klatscht der Reiter ungebremst auf den Pferderücken. Das führt nicht nur zu Frust beim Menschen, sondern auch zu deutlicher Mehrbelastung für den Rücken des Pferdes. Die Ursachen sind vielfältig: Mangelnde Losgelassenheit des Pferdes, fehlende Grundspannung oder Körperkontrolle beim Reiter, unpassender Sattel, aber auch biomechanische und physikalische Grenzen. Um zu verstehen, warum Aussitzen für viele so schwer ist – und wann es für das Pferd problematisch wird – lohnt sich ein Blick auf Messdaten, Studien und die Physik dahinter.


Aussitzen

Belastung des Pferderückens beim Aussitzen


Mehrere Studien haben mit Druckmessmatten die Belastung im Pferderücken gemessen. In einer Untersuchung von Peham et al. (2010) wurden beim Aussitzen im Trab signifikant höhere Druckspitzen registriert als beim Leichttraben. Während beim Leichttraben die Last gleichmäßiger auf beide Tritte verteilt wird, wirkt beim Aussitzen in der Schwebephase das gesamte Reitergewicht impulsartig auf den Rücken. Die Druckspitzen lagen dabei teils über 2,5 N/cm² – Werte, die, wenn sie wiederholt auftreten, zu Verspannungen oder sogar Gewebeschäden führen können.


Die Rolle der Trägheit – warum der Reiter „zu spät“ ist


Aus physikalischer Sicht ist es unmöglich, völlig synchron mit der Auf- und Abwärtsbewegung des Pferderückens mitzuschwingen. Grund: Die Trägheit der Massen. Der menschliche Körper – insbesondere der Oberkörper – hat Masse, die beim Beschleunigen und Abbremsen verzögert reagiert. Auch ein sehr lockeres Becken kann diese Massenträgheit nur teilweise ausgleichen. Die Verzögerung beträgt je nach Reiter, Fitness und Bewegungsausmaß 30–80 Millisekunden. Das klingt wenig, reicht aber, um den Punkt maximaler Aufwärtsbewegung des Pferderückens minimal zu verpassen.

Je länger der Rückenhub (z. B. bei schwungvollen Pferden mit viel Bewegungsamplitude), desto größer ist die „Nachschwingbewegung“ des Reiters – und desto schwerer ist es, den Takt nicht zu stören. Diese Zeitverschiebung führt zu kleinen Gegenbewegungen, die das Pferd als unruhige, manchmal sogar schmerzhafte Impulse spürt.


Pferdetypen, die Aussitzen schwer vertragen


Nicht jedes Pferd reagiert gleich empfindlich:


  • Kurzer Rücken: Schwingt schneller, was das Mitschwingen schwieriger macht.

  • Sehr schwungvolle Gänge: Größere Amplitude, längere „Flugphase“ – mehr Trägheitseffekt.

  • Noch nicht losgelassen: Ein verspannter Rücken kann Bewegungen nicht elastisch weiterleiten, wodurch die Stöße direkter auf die Strukturen wirken.

  • Pferde mit Rückenproblemen (Kissing Spines, Muskelatrophien): Belastung durch verspätetes Mitgehen kann Schmerzen verstärken.


Reiterliche Voraussetzungen


Damit Aussitzen für das Pferd keine Tortur wird, braucht der Reiter:


  1. Unabhängigen Sitz – kein Abstützen auf Zügel oder Pferdemaul.

  2. Locker-aktive Rumpfmuskulatur – um Bewegungen abzufangen.

  3. Feinmotorik im Becken – getrennt vom restlichen Körper.

  4. Gleichgewicht ohne Festhalten – auch in schwungvollen Tempi.


Fehlt eine dieser Grundlagen, steigt die Gefahr, dass das Aussitzen zu einem Stoßreiten wird.


Wie lange aussitzen?


Die Dauer hängt vom Ausbildungsstand ab:


  • Anfänger & junge Pferde: möglichst wenig am Stück aussitzen, lieber Leichttraben oder Galopp als entlastende Gangart.

  • Fortgeschrittene Reiter auf losgelassenen Pferden: mehrere Runden am Stück möglich, aber immer wieder Pausen im Leichttraben einbauen.

  • Hohe Versammlung (z. B. Passage): kurze, präzise Phasen – nicht minutenlang durchgehend.


Sinn oder Unsinn: Anfänger auf nicht losgelassenen Pferden


Einen Anfänger auf einem Pferd ohne Losgelassenheit aussitzen zu lassen, ist meist kontraproduktiv: Das Pferd verspannt sich durch die unruhigen, verspäteten Impulse noch mehr, der Reiter verkrampft, und beide lernen vor allem eins – dass Aussitzen unangenehm ist. Sinnvoller ist es, erst über einen geschmeidigen, mitschwingenden Sitz im Schritt und über das Leichttraben ein Gefühl für die Bewegung zu entwickeln, bevor längere Aussitzphasen im Trab kommen.


Fazit


Aussitzen ist keine Pflichtübung um jeden Preis. Richtig ausgeführt, ist es ein wertvolles Werkzeug für die feine Hilfengebung. Falsch ausgeführt, wird es schnell zur Belastungsprobe für den Pferderücken. Studien und Physik zeigen: Selbst geübte Reiter kämpfen mit der Trägheit der eigenen Masse. Bewusstes Training, passende Pferdewahl und Pausen sind der Schlüssel, damit Aussitzen zum harmonischen Miteinander wird.


Literatur

  • Peham, C., Kotschwar, A., Borkenhagen, B., Kuhnke, S., Molsner, J., Baltacis, A. (2010). "A comparison of forces acting on the horse’s back and the stability of the rider’s seat in different positions at the trot." Veterinary Journal, 184(1), 56–59.

  • Clayton, H.M., Hobbs, S.J. (2017). "The role of biomechanical analysis in equitation science." Applied Animal Behaviour Science, 190, 123–132.

  • Byström, A., Rhodin, M., von Peinen, K., Weishaupt, M., Roepstorff, L. (2009). "Kinematics of saddle and rider in high-level dressage horses performing collected walk." Equine Veterinary Journal, 41(3), 280–285.

  • Gurney, J., Hobbs, S.J., et al. (2020). "The effect of rider position on equine back kinematics." Animals, 10(3), 477.

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