Auswüchse im Pferdesport – wenn das Pferd zum Mittel zum Zweck wird
- sabinelagies
- 17. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Auswüchse im Pferdesport – wenn das Pferd zum Mittel zum Zweck wird
Ein kritischer Blick auf gängige Praktiken – quer durch alle Disziplinen
Pferdesport – das klingt nach Tradition, feiner Kommunikation, gegenseitigem Vertrauen zwischen Mensch und Tier. Doch unter der glänzenden Oberfläche brodelt eine hässliche Realität: Immer wieder geraten Praktiken ans Licht, die das Pferd nicht als Partner, sondern als Sportgerät behandeln. In vielen Disziplinen haben sich Methoden etabliert, bei denen nicht mehr das Tier im Mittelpunkt steht, sondern Geld, Leistung, Prestige – um (fast) jeden Preis.

Wenn der Zweck die Mittel heiligt – Beispiele aus verschiedenen Sparten
Rennsport – jung verheizt, schnell verschlissen
Vollblüter stehen mit zwei Jahren an der Startmaschine – körperlich unreif, psychisch überfordert. Viele sind nach wenigen Jahren „verbraucht“, enden im Ausland auf Schlachthöfen oder werden aussortiert. Lahmheiten, Stresssymptome, Herz-Kreislauf-Versagen auf der Bahn – all das ist Teil des Geschäfts.
Dressur – die feine Kunst? Oder Show um jeden Preis?
Stichwort Rollkur (Hyperflexion), eng gezogene Sperrriemen, Verschnallungen, die das Pferd zur „Rahmenerfüllung“ zwingen. Es gibt dokumentierte Fälle, in denen Pferden Substanzen auf die Zähne gestrichen wurden, um das unerwünschte Zähneknirschen zu unterbinden – ein eigentlich eindeutiges Stresssignal.
Die äußere Fassade zählt: Schweif ruhig, Maul zu, Kopf in „Anlehnung“. Wie das erreicht wird, interessiert oft nur am Rande.
Springen – schneller, höher, brutaler?
Hochgezogene Nasenriemen, Sperrmechanismen, Schärfe im Maul: Manche Gebisse gleichen Folterwerkzeugen. In der Training sind Methoden wie das „Barren“ (Schlagen gegen die Beine, damit das Pferd höher springt) nach wie vor keine Seltenheit – obwohl sie verboten sind.
Und auch hier: Pferde, die psychisch nicht mehr mitmachen, werden ersetzt. Nachschub ist planbar.
Westernreiten – sanft und pferdegerecht oder harter Drill?
Besonders im Turniersport wird auch im Westernreiten auf „Show“-Effekte gesetzt: extrem tiefe Hälse, schnelle Spins, Sliding Stops – was im Training oft mit Zwang und mechanischer Einwirkung erreicht wird. Harte Gebisse, übermäßiger Einsatz von Sporen und Zügelhilfen führen zu muskulären und mentalen Schäden.
Gangpferdeszene – alles für den Tölt?
In manchen Kreisen (z. B. bei Show-Tennessee Walkern in den USA) ist das sogenannte „Soring“ dokumentiert: Hier werden Substanzen auf die Beine aufgetragen oder Schmerzen durch Gewichte erzeugt, um eine besonders hohe Aktion der Vorderbeine zu erzwingen. Auch bei Paso Finos oder Islandpferden wird der natürliche Gang oft mit fragwürdigen Methoden „verfeinert“.
Und manchmal noch schlimmer…
Es gibt Berichte über das Durchtrennen von Sehnen oder Muskeln, damit Pferde z. B. den Schweif nicht mehr schlagen – oder ihn besonders hoch tragen. Solche „Eingriffe“ dienen nur einem Zweck: eine bestimmte Optik zu erzeugen und Abweichungen zu kaschieren. Das Tier? Nebensache.
Die Wurzel des Problems: Geld, Erfolg, Eitelkeit
Ob Preisgeld, Verkaufswert, Ruhm oder falscher Ehrgeiz – viele dieser Auswüchse lassen sich auf dasselbe Grundproblem zurückführen: Das Pferd wird zum Mittel zum Zweck. Wer Erfolg will, darf keine Schwächen zeigen – weder beim Pferd noch im System.
Die Grenzen zwischen erlaubtem Training, Grauzonen und Missbrauch verschwimmen – und genau das macht den Umgang damit so schwierig.
Jeder trägt Verantwortung – auch du
Ob du Freizeitreiter:in bist oder auf Turniere gehst: Du entscheidest, welches System du mitträgst. Du entscheidest, wie dein Pferd behandelt wird. Du entscheidest, ob du hinsiehst – oder weg.
❗Frage dich ehrlich:
Muss mein Pferd Turniere gehen?
Muss es „funktionieren“ – oder darf es ein Partner sein?
Was bin ich bereit, für mein Ego oder mein Ziel vom Pferd zu verlangen?
Fazit
Pferdesport ist nicht per se schlecht. Aber er ist nur dann vertretbar, wenn er für das Pferd und mit dem Pferd gemacht wird. Nicht gegen seinen Körper. Nicht gegen seine Natur.
Die schlimmsten Auswüchse entstehen dort, wo ethische Werte durch Leistungsdruck ersetzt werden. Wer Pferde liebt, sollte bereit sein, diese Strukturen zu hinterfragen – und sich für eine neue, pferdegerechtere Kultur starkzumachen.
Denn: Die Art, wie wir mit Pferden umgehen, sagt nichts über das Pferd. Aber alles über uns.
Allgemeine Studien zum Pferdewohl im Sport:
1. Hall et al. (2020):“Horses’ responses to noseband tightening”
Ergebnis: Enge Verschnallungen von Nasen- und Sperrriemen schränken die Kaubewegung, Atmung und Stressverarbeitung ein.
Publikation: Journal of Veterinary Behavior
Kommentar: Grundlage für aktuelle Empfehlungen zur maximalen Verschnallungstiefe.
2. McGreevy et al. (2012):“The Use of Nosebands in Equestrian Sport”
Untersuchung von Riemenverschnallungen auf internationalen Turnieren.
Ergebnis: Ein erheblicher Teil der Pferde zeigte starke Einschränkungen der Maulbewegung – eine Stressursache mit langfristigen Folgen.
3. Fenner et al. (2016):“The validity of behavioural indicators of poor welfare in ridden horses”
Beobachtung von Stressverhalten (Ohrenanlegen, Zähneknirschen, Schweifschlagen etc.) bei verschiedenen Trainingsmethoden.
Ergebnis: Pferde, die unter Zwangs- oder Schmerzreizen trainiert wurden, zeigten deutlich mehr Stresssignale.
Spezifischere Hinweise auf Missbrauch und Auswüchse:
4. König von Borstel et al. (2017):“Behavioral and physiological assessment of positive and negative reinforcement in horse training”
Ergebnis: Pferde zeigen deutlich mehr Widerstand und Stress unter negativem, druckbasiertem Training – wie es in leistungsorientierten Systemen oft eingesetzt wird.
5. Evans, T. et al. (2010):“Risk Factors for Injury in Thoroughbred Racehorses”
Zeigt die hohe Verletzungs- und Verschleißrate bei Rennpferden.
Zusammenhang zwischen zu frühem Trainingsbeginn und langfristigen Schäden.
Graubereiche & dokumentierter Missbrauch:
6. USDA Reports (USA, Tennessee Walking Horses):
Mehrere staatliche Untersuchungsberichte dokumentieren Soring (Auftragen von schmerzhaften Substanzen) und absichtliche Verletzungen.
Führte zur Verschärfung des Horse Protection Act (HPA).
7. Dänische Studie zur Rollkur (Christensen et al., 2011):
Pferde in starker Hyperflexion (Rollkur) zeigen erhöhte Stresshormone und mehr Konfliktverhalten.
Relevanz für Dressursport und öffentliche Debatten über “LDR” (Low Deep and Round).
Ergänzende Literatur & Berichte:
Tierschutzleitlinien für den Pferdesport (BMEL, Deutschland, 2009 & aktualisiert 2023):Thematisieren u. a. unzulässige Hilfsmittel, unangemessene Trainingsmethoden und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
FEI Code of Conduct for the Welfare of the Horse:Ein theoretisch klarer Rahmen – der aber in der Praxis oft lückenhaft umgesetzt oder kontrolliert wird.
Es ist also nicht nur ein individueller Eindruck, dass es Missstände gibt. Es gibt belastbare wissenschaftliche Hinweise darauf, dass bestimmte Trainingspraktiken, Ausrüstungsgegenstände oder Haltungsbedingungen im Pferdesport tierschutzrelevant sind.
Viele dieser Studien belegen die körperlichen und psychischen Belastungen für das Pferd, etwa durch:
Zwangspositionen (z. B. Rollkur)
Schmerzreize (z. B. Sporen, scharfe Gebisse)
Überforderung (z. B. im Rennsport)
Stress durch Isolation oder nicht artgerechte Haltung


