Baumlose Sättel – flexible Freiheit oder unterschätztes Risiko?
- sabinelagies
- 21. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Baumlose Sättel erfreuen sich wachsender Beliebtheit – besonders im Freizeit- und Geländereiten. Sie versprechen eine besonders enge Verbindung zwischen Reiter und Pferd, mehr Bewegungsfreiheit und Komfort.

Doch wie sinnvoll sind diese Sättel wirklich? Wo liegen ihre Stärken – und wo die Grenzen? Und worauf muss man achten, wenn man sich für ein baumloses Modell entscheidet?
Was ist ein baumloser Sattel?
Ein baumloser Sattel verzichtet – wie der Name schon sagt – auf das feste Sattelgestell (den "Baum"), das in klassischen Sätteln für Form, Stabilität und Gewichtsverteilung sorgt. Stattdessen bestehen baumlose Sättel aus flexiblen Materialien wie Leder, Schaumstoff, Kunststoff oder Filz. Manche Modelle enthalten verstärkte Einsätze oder flexible Wirbelsäulenkanäle, um die Druckverteilung zu verbessern, bleiben aber formal "baumlos".
Wofür eignen sich baumlose Sättel?
Baumlose Sättel können in bestimmten Einsatzbereichen durchaus sinnvoll sein:
Freizeitreiten und Gelände: Viele Reiter schätzen den engen Kontakt zum Pferd und das leichte Gewicht der Sättel. Gerade bei kurzen oder mäßig intensiven Ritten können sie komfortabel und pferdefreundlich sein.
Junge Pferde in der Ausbildung: Da sich die Sättel flexibel an den sich verändernden Rücken anpassen, sind sie für Übergangsphasen geeignet – allerdings nur mit korrektem Aufbau.
Therapie- oder Sitzschulungsarbeit: Der direkte Sitzkontakt kann helfen, die Hilfengebung zu verfeinern – sofern der Reiter einen sehr guten, ausbalancierten Sitz hat.
Pferde mit extrem schwieriger Sattellage, für die kein klassischer Sattel passt (z. B. stark bemuskelte Pferde mit kurzem Rücken oder stark asymmetrischer Muskulatur).
Wofür eignen sich baumlose Sättel nicht?
Trotz ihrer Vorteile stoßen baumlose Sättel in bestimmten Bereichen klar an ihre Grenzen:
Längere Ritte mit höherem Gewicht (z. B. Wanderritte mit Gepäck oder schwereren Reitern): Ohne festen Baum fehlt die großflächige Druckverteilung – punktuelle Belastung kann entstehen.
Sportliche Disziplinen mit hohem Sitzbedarf (Dressur, Springen, Distanz auf Zeit): In diesen Bereichen ist ein stabiler, zentrierter Sitz entscheidend – und das kann der flexible Sattel oft nicht zuverlässig bieten.
Reiter mit unsicherem Sitz: Ohne festen Rahmen kann der Sattel instabil werden, was zu Fehlbelastungen für Pferd und Reiter führt.
Pferde mit Rückenproblemen: Baumlose Sättel benötigen besonderen Aufbau und korrekte Anpassung – Fehler können zu erheblichen Druckspitzen und Muskelverspannungen führen.
Worauf muss man bei baumlosen Sätteln achten?
Die häufigsten Probleme mit baumlosen Sätteln entstehen durch falschen Einsatz oder mangelnde Anpassung. Wichtig ist:
Druckverteilung prüfen: Baumlose Sättel benötigen in den meisten Fällen eine speziell angepasste Sattelunterlage mit eingebauten Polstern, Wirbelsäulenfreiheit und ggf. Keilen, um die Last zu verteilen.
Sitz des Reiters: Ein ausbalancierter Reiter belastet die Sattellage gleichmäßig – ein Reiter, der nach vorne kippt oder "mit der Hand reitet", kann Druckspitzen verursachen.
Kontrolle durch erfahrene Fachleute: Auch wenn viele Modelle als „selbstanpassend“ beworben werden – eine professionelle Beurteilung von Fachleuten (Sattler, Osteopath, Trainer) ist unerlässlich.
Regelmäßige Kontrolle: Da sich der Pferderücken verändert und das Material nachgibt, muss auch ein baumloser Sattel regelmäßig neu bewertet werden.
Studien, Druckmessungen und Fachartikel – was sagen die Daten?
Die Diskussion um baumlose Sättel ist nicht nur emotional, sondern wird zunehmend auch wissenschaftlich begleitet:
Druckmessungen mit dem Pliance-System (z. B. Studien von Universität Leipzig und IENA, Schweiz) zeigen, dass viele baumlose Sättel ohne passende Unterlage zu deutlich höheren Druckspitzen im Lendenbereich führen als konventionelle Sättel – insbesondere bei längeren Ritten oder schwereren Reitern.
In der "Cavallo" (z. B. Ausgabe 3/2018) wurden Druckverläufe verschiedener baumloser Modelle analysiert. Ergebnis: Nur in Kombination mit hochwertigen Spezialpads war die Druckverteilung akzeptabel – einige Modelle zeigten sogar kritische Druckwerte über 300 mmHg.
Die Zeitschrift „Pferdephysiotherapie aktuell“ weist regelmäßig darauf hin, dass baumlose Sättel ein sehr gutes Körpergefühl des Reiters erfordern – und keineswegs per se rückenfreundlich sind.
Auch aus Sicht der FN ist der Einsatz baumloser Sättel im klassischen Reitsport nicht vorgesehen, da sie die erforderliche Stabilität und Gewichtsverteilung für Training und Prüfungen meist nicht gewährleisten.
Fazit: Baumlos ja – aber mit Sachverstand
Baumlose Sättel sind kein Allheilmittel, aber sie können in bestimmten Situationen sinnvoll eingesetzt werden – vorausgesetzt, sie sind korrekt angepasst und der Reiter ist sich ihrer Grenzen bewusst. Für das Freizeitreiten, leichte Geländeausritte oder Übergangsphasen mit jungen Pferden bieten sie interessante Möglichkeiten.
Doch je höher die Anforderungen an Training, Sitz und Bewegungsdynamik, desto eher kommt ein gut angepasster Sattel mit Baum zum Einsatz – zum Schutz von Pferderücken und Reitqualität. Wer sich für ein baumloses Modell interessiert, sollte sich umfassend beraten lassen – und kritisch prüfen, ob Sattel, Pad und Reiter zusammenpassen.
Tipp: Wer einen baumlosen Sattel ausprobieren möchte, sollte auf jeden Fall eine professionelle Druckmessung machen lassen – idealerweise in Bewegung. So lassen sich gefährliche Druckspitzen frühzeitig erkennen und vermeiden.


