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Brauchen Sättel Pauschen? – Zwischen Tradition, Funktion und moderner Reitweise

Die Frage, ob ein Sattel Pauschen braucht, wird in Reiterkreisen oft kontrovers diskutiert. Während manche Reiter auf sie schwören, sehen andere sie als unnötige Einschränkung. Um dieser Diskussion fundiert zu begegnen, lohnt ein Blick in die Geschichte, auf aktuelle Entwicklungen und auf die Auswirkungen von Pauschen auf Reiter und Pferd.


Sattel mit Pauschen

Früher: Reiten ohne Pauschen – mehr Gefühl, weniger Unterstützung


Historisch gesehen waren Sättel in vielen Kulturen schlicht aufgebaut – eine stabile Sitzfläche, mit wenig bis gar keiner Polsterung und meist ohne Pauschen. In der klassischen Reitkunst, etwa der iberischen oder barocken Reitweise, lag der Fokus auf dem balancierten Sitz des Reiters, der durch feines Körpergefühl und jahrelange Schulung erreicht wurde. Auch der englische Sattel hatte ursprünglich keine oder nur sehr kleine Pauschen. Der Reiter war gefordert, aktiv zu sitzen und das Gleichgewicht ohne mechanische Hilfen zu halten.


Heute: Pauschen als Standard – Sicherheit und Stabilität?


Moderne Sättel, insbesondere im Dressur- und Springsport, weisen fast durchgehend Pauschen auf – teils sehr stark ausgeprägt. Diese Entwicklung ging einher mit Veränderungen im Reitunterricht, der Kommerzialisierung des Sports und dem steigenden Sicherheitsbedürfnis vieler Reiter. Pauschen sollen das Bein in Position halten, verhindern, dass der Reiter nach vorne rutscht, und bei hohen Belastungen – z. B. beim Springen oder beim jungen Pferd – zusätzliche Stabilität bieten.


Hersteller bieten heute eine breite Palette an Pauschenformen, -größen und -positionen an, oft sogar austauschbar oder individuell anpassbar. Diese Vielfalt ermöglicht zwar passgenaue Lösungen, kann aber auch dazu führen, dass Pauschen zu "Krücken" für einen unausbalancierten Sitz werden.


Pauschen in Reitschulen – ein Widerspruch zum Ausbildungsgedanken?


In vielen Reitschulen sind Sättel mit Pauschen mittlerweile Standard. Auf den ersten Blick scheint das sinnvoll: Sie vermitteln Anfängern mehr Sicherheit, helfen beim "richtigen" Bein und sollen die Ausbildung erleichtern. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Pauschen können in der Reitschulausbildung problematisch sein.


Denn Pauschen müssen individuell zum Reiter passen, damit sie korrekt unterstützen, ohne einzuengen. In Reitschulen ist das kaum möglich: Unterschiedlich große Reiter mit verschiedenen Beinlängen und Sitzverhältnissen nutzen die gleichen Sättel. Was bei einem Reiter hilfreich ist, kann beim nächsten blockierend wirken. Zu große Pauschen zwingen das Bein in eine Position, die weder anatomisch noch funktional sinnvoll ist – besonders dann, wenn sie nicht zur Körperproportion passen.


Hinzu kommt: Das Ziel der Reitausbildung ist ein unabhängiger, ausbalancierter Sitz. Der Reiter soll lernen, sich mit dem Pferd zu bewegen – nicht, sich am Sattel "festzuhalten". Pauschen können diesen Lernprozess behindern, wenn sie dem Reiter suggerieren, er sei "richtig" positioniert, obwohl die eigene Balance und Körperkontrolle (noch) fehlen.

Gerade im Reitunterricht sollte deshalb der Fokus darauf liegen, den Sitz über Schulung und Körperbewusstsein zu entwickeln, nicht über technische Hilfsmittel. Kleine, dezente Pauschen können in Einzelfällen sinnvoll sein – der Regelfall sollten sie in der Grundausbildung jedoch nicht sein.


Auswirkungen auf den Sitz – Hilfe oder Hindernis?


Pauschen können helfen – besonders Anfängern oder unsicheren Reitern. Sie bieten dem Bein eine Orientierung und können in bestimmten Phasen des Lernens oder bei schwierigen Bewegungen (wie Piaffe, Passage oder hohen Sprüngen) eine sinnvolle Unterstützung sein.

Gleichzeitig können zu große oder falsch platzierte Pauschen den Reiter in eine unnatürliche Position zwingen. Das Bein wird "fixiert", anstatt sich frei und elastisch mit dem Pferd zu bewegen. Dies kann zu einem festgehaltenen Sitz führen und langfristig die Entwicklung von Gefühl, Balance und feiner Hilfengebung hemmen.


Wann machen (kleine) Pauschen Sinn?


Kleine, weich geformte Pauschen können durchaus sinnvoll sein:


  • Beim jungen Pferd: Sie geben dem Reiter etwas mehr Halt, wenn Bewegungen noch unausbalanciert sind.

  • Bei unsicheren Reitern oder Wiedereinsteigern: Ein Gefühl von Sicherheit kann helfen, entspannter zu reiten.

  • Im Gelände oder beim Springen: Leichte Pauschen können das Bein vor dem Zurückrutschen schützen.

  • Individuelle Anatomie: Manchen Reitern helfen kleine Pauschen dabei, eine neutrale Beinhaltung zu finden, ohne zu sehr einzuengen.


Wichtig ist jedoch: Pauschen sollten niemals schlechte Sitzgewohnheiten kompensieren oder das aktive Reiten ersetzen.


Was sagen Studien und Expertenmeinungen?


Obwohl es zum Thema Pauschen wenige umfassende wissenschaftliche Studien gibt, lassen sich einige interessante Ansätze finden:


  • Eine Studie der Universität Zürich (2011) zum Einfluss verschiedener Satteltypen auf die Bewegungsfreiheit des Pferdes ergab, dass zu enge oder stark konturierte Sättel – auch durch übermäßige Pauschen – negative Auswirkungen auf die Rückentätigkeit des Pferdes haben können.

  • In Fachartikeln aus "Cavallo" und "Reiter Revue" wird regelmäßig betont, dass Pauschen in erster Linie eine Hilfestellung sein sollten – keine Einschränkung. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass ein guter Sitz aus der Körpermitte heraus kommt und nicht von außen "fixiert" werden kann.


Die klassische Reitlehre nach FN oder der Ecole de Légèreté (Philippe Karl) betont ebenfalls, dass der Reiter unabhängig vom Sattel frei und balanciert sitzen können muss – mit oder ohne Pausche.


Fazit: Weniger ist oft mehr


Pauschen sind nicht per se schlecht – sie können sinnvoll unterstützen, vor allem in bestimmten Ausbildungsphasen oder für bestimmte Reiterprofile. Doch ein Sattel sollte immer dem Reiter und dem Pferd angepasst sein – in erster Linie so, dass der Reiter aus eigener Kraft balanciert sitzen kann. Große, dominante Pauschen können die Bewegungsfreiheit einschränken – sowohl für Reiter als auch für das Pferd.


Wer langfristig harmonisch reiten will, sollte Pauschen als das betrachten, was sie sind: ein Werkzeug – nicht die Lösung.


Tipp: Wer unsicher ist, ob die Pauschen im eigenen Sattel passen, sollte eine unabhängige Sattelanpassung durch einen erfahrenen Fachmann durchführen lassen – idealerweise im Zusammenspiel mit einem Reitlehrer, der den Sitz objektiv beurteilen kann.



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