Bewegungslernen – Warum Kinder anders lernen als Erwachsene (und was das für den Reitunterricht bedeutet)
- sabinelagies
- 21. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Ob auf dem Pferd, beim Tanzen oder auf dem Fahrrad: Bewegungslernen begleitet uns ein Leben lang. Doch wie wir neue Bewegungsmuster aufnehmen, verarbeiten und umsetzen, unterscheidet sich je nach Alter – und das besonders deutlich im Reitunterricht. Kinder lernen Bewegung ganz anders als Erwachsene – intuitiver, spielerischer, körpernäher. Wer diese Unterschiede kennt, kann Reitunterricht altersgerecht gestalten und Frustration vermeiden – bei Reitlehrern ebenso wie bei ihren Schülern.

Was bedeutet eigentlich „Bewegungslernen“?
Bewegungslernen beschreibt den Prozess, in dem unser Körper neue koordinative Fähigkeiten erlernt. Dabei werden Sinneseindrücke, motorische Reize, Körperspannung und Gleichgewicht miteinander verknüpft – und mit jedem Wiederholen verfeinert.
Beim Reiten bedeutet das zum Beispiel:
eine stabile Mitte zu entwickeln,
unabhängig von der Hand zu sitzen,
in der Bewegung des Pferdes mitzuschwingen,
sofort auf Bewegungen des Pferdes (z.B. Sprung zur Seite) reagieren zu können,
Impulse gezielt dosiert zu geben.
Bewegungslernen bei Kindern: Spielerisch, körperlich, ganzheitlich
Kinder bewegen sich von Natur aus viel. Sie erkunden ihre Umwelt mit dem Körper, lernen durch Ausprobieren, Wiederholen und – ganz wichtig – durch Spaß an der Sache. Ihre Körpersprache ist noch direkter, ihre Bewegungen weniger kontrolliert, dafür oft erstaunlich stimmig.
Typisch für Kinder im Reitunterricht:
Sie lernen durch Nachahmung: Wenn die Trainerin mitsitzt oder vormacht, machen Kinder es intuitiv nach.
Sie brauchen weniger verbale Erklärungen: Einfache Bilder („Sitz wie ein König“, „Sei eine stolze Giraffe“) wirken oft besser als biomechanische Erklärungen.
Sie haben noch kein festgelegtes Körpermuster – und sind deshalb in der Lage, komplett neue Bewegungsabläufe intuitiv zu erlernen.
Sie reagieren emotional und körperlich unmittelbar: Lob, Spaß und Motivation wirken direkt aufs Bewegungsergebnis.
Zwischen dem 5. und 12. Lebensjahr befindet sich das Kind in einer sensiblen Phase für Bewegungslernen. Das Gehirn ist hochgradig plastisch und kann Bewegungen „wie von selbst“ aufnehmen. Danach – mit der beginnenden Pubertät (ca. ab 13 Jahren) – ändert sich dieser Lernprozess allmählich.
Beispiel aus dem Reitunterricht:
Ein Kind, das zum ersten Mal trabt, findet oft überraschend schnell den richtigen Bewegungsfluss – wenn man es nicht mit zu vielen Kommandos stört. Ein einfaches Bild („Stell dir vor, du bist ein Flummi!“) hilft mehr als jede technische Erklärung.
Bewegungslernen bei Erwachsenen: Analytisch, zielorientiert – mit Altlasten
Erwachsene bringen meist ein deutlich ausgeprägteres Körperbewusstsein mit – aber auch mehr „Kopflastigkeit“. Sie wollen verstehen, analysieren, planen – was beim Reiten nicht immer hilfreich ist. Denn gute Bewegungen entstehen im Fühlen, nicht im Denken.
Typisch für Erwachsene im Reitunterricht:
Sie wollen verstehen, bevor sie fühlen: Sie fragen „Warum soll ich den Absatz tief nehmen?“
Sie haben bereits ein festes Körpergedächtnis, das aus Alltagshaltungen, Sportarten oder Beruf resultiert – das kann das Lernen behindern.
Sie neigen dazu, neue Bewegungen aus bestehenden Mustern zusammenzusetzen, statt sie völlig neu zu entwickeln.
Der Lernprozess ist langsamer, dafür oft nachhaltiger, wenn die Bewegung mit einem starken inneren Bild oder Aha-Erlebnis verknüpft wird.
Bewegungsmuster werden im Erwachsenenalter also eher aus bereits bestehenden Mustern zusammengebaut als neu erfunden.
Die Fähigkeit, Bewegungen spontan und intuitiv neu zu lernen, nimmt ab der Pubertät merklich ab – allerdings lässt sich auch später noch viel erreichen, vor allem durch gute Anleitung, Körpersensibilisierung und Wiederholung.
Beispiel aus dem Reitunterricht:
Ein Erwachsener, der im Leichttraben nach vorne kippt, braucht oft ein inneres Bild („Deine Hüfte zieht über das Pferdeohr“) oder eine bewusste Körpererfahrung, z. B. durch geführtes Reiten, Reiten ohne Sattel oder Feldenkrais-Elemente.
Warum der Reitunterricht altersgerecht sein sollte
Ein Reitunterricht, der Kindern zu viel erklärt oder Erwachsenen zu wenig, kann Bewegungslernen blockieren. Kinder brauchen Freiraum, spielerische Aufgaben, einfache Bilder und Bewegungserfahrungen. Erwachsene brauchen oft ein Verständnis, einen klaren Bewegungsauftrag und Raum, um ihr Körpergefühl neu zu entdecken.
Fazit: Bewegung will gefühlt, nicht gemacht werden
Bewegungslernen ist ein körperlicher, emotionaler und kognitiver Prozess. Kinder lernen dabei ganzheitlich, unmittelbar und spielerisch. Erwachsene lernen durch Bewusstmachen, Verstehen und Wiederholen. Die Fähigkeit, völlig neue Bewegungsmuster intuitiv zu erlernen, ist eine Stärke des Kindes – etwa bis zur Pubertät. Danach braucht der Mensch andere Wege, um zum Ziel zu kommen – aber auch diese Wege können erfolgreich, freudvoll und nachhaltig sein.
💡 Praxistipp für Reitlehrer und Reitlehrerinnen:
Nutze bei Kindern kreative Bilder, spielerische Aufgaben und viel Bewegungserfahrung.Setze bei Erwachsenen auf innere Bilder, bewusste Wahrnehmung, kleine Aha-Momente und gezielte Wiederholung.Und vor allem: Ermutige zum Fühlen – denn gute Bewegung entsteht nicht durch Worte, sondern durch Erleben.


