Anfänger an die Longe - oder doch nicht?
- sabinelagies
- 1. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Okt.
Warum Longenunterricht nicht immer das Mittel der Wahl ist
Longenunterricht ist ein fester Bestandteil der klassischen Reitausbildung. Gerade zu Beginn der Reitkarriere soll er dazu dienen, den Reiter unabhängig vom Zügel auszubalancieren, seinen Sitz zu verbessern und ein Gefühl für die Bewegungen des Pferdes zu entwickeln. Richtig eingesetzt, ist die Longenstunde ein unschätzbar wertvolles Instrument – doch leider wird sie oft unterschätzt oder falsch durchgeführt.
Was viele nicht wissen: Guter Longenunterricht funktioniert nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Fehlen diese, kann das Training sogar kontraproduktiv sein. Statt mehr Gleichgewicht, Bewegungsgefühl und Losgelassenheit entstehen Spannung, Unsicherheit und körperliche Fehlhaltungen.

Warum Longenstunden so wichtig sind
Ziel einer Longenstunde ist es, dem Reiter die Möglichkeit zu geben, sich vollständig auf sich und seinen Körper zu konzentrieren, ohne gleichzeitig das Pferd steuern zu müssen. So kann er Sitzfehler erkennen und korrigieren, Bewegungsabläufe erleben und mit dem Pferd in Einklang kommen.
Die klassische Reitlehre betont deshalb seit jeher: „Ohne korrekten Sitz keine feine Hilfengebung – und ohne Losgelassenheit keine Harmonie mit dem Pferd.“ Sitzlongen sind damit kein Selbstzweck, sondern das Fundament für alles Weitere.
Die Realität: Viele Longenstunden sind ineffektiv oder sogar schädlich
Trotz ihrer Bedeutung zeigen Beobachtungen in vielen Reitschulen, dass Sitzlongen häufig auf Pferden stattfinden, die biomechanisch nicht geeignet sind – Pferde, die nicht durchlässig sind, nicht geradegerichtet, die nicht über den Rücken arbeiten. Das führt zu einer paradoxen Situation: Der Reiter soll lernen, locker und ausbalanciert zu sitzen – auf einem Pferd, das selbst nicht locker oder in Balance ist.
Das Ergebnis:
Der Reiter wird aus dem Sattel „herauskatapultiert“, vor allem im Trab.
Es kommt zu kontraproduktiven Fixierungen im Bewegungsmuster, weil der Reiter sich verkrampft.
Diese falschen Bewegungsmuster können dauerhaft werden. Der Reiter sitzt dann also z.B. dauerhaft schief, weil er ein falsches Bewegungsgefühl entwickelt hat.
Die Sitzschulung bleibt oberflächlich oder wirkt sogar langfristig kontraproduktiv.
Was braucht es also für guten Longenunterricht?
1. Ein hervorragend ausgebildetes Pferd
Das Pferd muss sich selbst tragen können, also in einer relativen Aufrichtung gehen, über den Rücken schwingen und geradegerichtet sein – auch auf der gebogenen Linie. Nur dann kann es die Bewegungen gleichmäßig auf den Reiter übertragen, ohne ihn seitlich herauszuschleudern (zentrifugieren).
📌 Pferde, die auf der Longe auf die innere Schulter fallen oder im Takt schwanken, stören das Gleichgewicht des Reiters massiv.
2. Ein erfahrener Longenführer
Longieren ist eine Kunst. Der Longenführer muss das Pferd nicht nur gymnastizierend an der Longe führen, sondern auch ständig fein korrigieren – Tempo, Haltung, Spurtreue. Außerdem muss er den Reiter lesen, Hilfestellung geben, verbal begleiten und Fehlerbilder erkennen.
3. Ein klarer Trainingsplan
Gute Sitzlongen sind keine Dauerlösung oder Lückenfüller, sondern zielgerichtete Einheiten, die aufeinander aufbauen:
Zuerst Übungen im Schritt zur Gleichgewichtsschulung
Dann Übergänge, verschiedene Balanceübungen, Bein- und Hüftlockerung
Später Trabphasen, ggf. ohne Bügel oder mit Hilfsmitteln wie Franklin-Bällen oder Balancepads
Ohne Struktur wird die Longenstunde zum monothematischen Dauertrab – mit Überforderung und Frust als Folge.
4. Ein Reiter, der bereit ist, sich einzulassen
Sitzschulung bedeutet auch, sich selbst zu beobachten, Bewegungsmuster zu hinterfragen, loszulassen. Es braucht Geduld, denn korrektes Sitzen ist keine rein technische, sondern auch eine emotionale und körperlich tiefgreifende Erfahrung. Wer das Ziel verfolgt, sich elegant im Sattel zu bewegen, muss bereit sein, den eigenen Körper neu zu organisieren.
Studienlage und Fachmeinungen
Zwar gibt es wenige spezifische Studien ausschließlich zur Sitzlonge, aber mehrere wissenschaftliche Arbeiten, die das Zusammenwirkung von Pferdebewegung und Reitersitz bestätigen:
Ein asymmetrisches oder spanniges Pferd wirkt sich negativ auf den Sitz des Reiters aus (Münz et al., 2014).
Stabilität im Rumpf und Beckenbereich des Reiters wird am besten auf durchlässigen Pferden geschult, die gleichmäßig schwingen (Peham et al., 2010).
Der zentrale Einfluss der Rückentätigkeit des Pferdes auf die Bewegungsübertragung beim Reiter ist biomechanisch messbar (Byström et al., 2018).
Diese Befunde belegen: Guter Longenunterricht beginnt beim Pferd, nicht beim Reiter.
Fazit: Qualität vor Routine
Longenunterricht ist ein wertvolles Werkzeug, aber kein Selbstläufer. Wer einfach einen Anfänger auf ein Pferd schnallt und lostrabt, schadet mehr, als er nützt. Eine gute Sitzlonge braucht ein herorragend ausgebildetes, losgelassenes, korrekt arbeitendes Pferd, einen kompetenten Ausbilder, pädagogisches Feingefühl und eine klare Struktur.
Sitzschulung macht außerdem nur Sinn auf einem Pferd, das biomechanisch dazu in der Lage ist, den Reiter korrekt zu tragen. Andernfalls wird das Bewegungslernen verfälscht – und statt Fortschritt entsteht langfristig ein Problem.
Nur unter diesen Bedingungen kann die Sitzschulung ihre transformative Kraft entfalten – und der Reiter lernt nicht nur zu sitzen, sondern zu fühlen, zu verstehen und mit dem Pferd zu verschmelzen.
Ist Longenunterricht für Kinder sinnvoll?
Diese Frage beschäftigt viele Reitlehrer und Eltern – und zu Recht. Denn Kinder lernen anders als Erwachsene: spielerisch, über Nachahmung, durch Bewegung und mit allen Sinnen. Sie brauchen vor allem Abwechslung, Erfolgserlebnisse und Freude am Tun.
Das klassische Longieren mit gleichförmigen Runden ist für Kinder unter etwa 10 Jahren oft wenig motivierend und überfordert ihre Konzentration schnell.
Hinzu kommt: Kinder sind meist noch nicht in der Lage, ihre Körperteile bewusst isoliert anzusteuern oder über längere Zeit eine gleichbleibende Körperhaltung zu halten. Anweisungen wie „Mach das Becken schwer“ oder „Bleib ruhig im Oberkörper“ überfordern sie – nicht aus Mangel an Intelligenz, sondern, weil ihre körperliche Eigenwahrnehmung noch in Entwicklung ist.
Für Kinder unter 10 sind daher andere, kindgerechtere, lebendigere Reitlernmethoden sinnvoller, zumal sie einen guten, flexiblen reiterlichen Sitz in der Regel viel intuitiver erlernen als Erwachsene, sofern der Reitlehrer den passenden Rahmen dafür schafft.
Literatur & Quellen:
Münz, A. et al. (2014): Effects of horseback riding on postural control and body coordination.
Peham, C. et al. (2010): The influence of the riding horse on the pressure distribution under the rider’s seat.
Byström, A. et al. (2018): Relationship between horse kinematics and rider asymmetry.
FN (2018): Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1.
Gräf, M. (2016): Reiten in Balance – Biomechanik von Pferd und Reiter. Cadmos Verlag.


