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Was ist ein gutes Schulpferd?

Aktualisiert: 28. Okt.

Ein Plädoyer für mehr Wertschätzung und Qualität in der Reitausbildung


Wer sich entscheidet, reiten zu lernen, begibt sich auf eine Reise in eine neue Welt – eine Welt, in der Kommunikation ohne Worte, Körpergefühl, Einfühlungsvermögen und Technik aufeinandertreffen. Das erste Pferd, das ein Reitanfänger regelmäßig erlebt, prägt oft das ganze spätere Reiterleben. Umso wichtiger ist es, sich mit einer entscheidenden Frage auseinanderzusetzen: Was macht ein gutes Schulpferd aus?


Schulpferd

Was muss ein Reitanfänger lernen?


Der Einstieg in die Reiterei ist weit mehr als nur „oben sitzen“. Reitanfänger müssen eine ganze Reihe an Grundlagen entwickeln:


  • Gleichgewicht und Körperkontrolle: Der Reitersitz ist komplex. Der Körper soll losgelassen, aber dennoch stabil sein. Sitzschulung ist essenziell.

  • Koordination: Hände, Beine, Rumpf und Blick sollen unabhängig und präzise eingesetzt werden – nicht einfach für ungeübte Bewegungsmuster.

  • Timing und Einwirkung: Der Reiter lernt, auf feine Signale zu achten und sie selbst zu geben – zur richtigen Zeit, mit der richtigen Intensität.

  • Körpersprache und Kommunikation: Pferde sprechen „nonverbal“. Wer sie verstehen will, braucht Gefühl und Beobachtungsgabe.

  • Vertrauen und Sicherheit: Der Umgang mit einem großen, sensiblen Tier muss gelernt werden – ohne Angst, aber mit Respekt.


Damit diese Lernziele erreicht werden können, braucht es ein besonderes Pferd.


Was braucht ein gutes Schulpferd?


Nicht jedes Pferd eignet sich als Lehrmeister. Ein gutes Schulpferd bringt eine ganze Reihe an Eigenschaften mit – körperlich wie charakterlich.


1. Charakter und Temperament

  • Geduldig und nervenstark: Ein Schulpferd sollte auch dann ruhig bleiben, wenn der Reiter unsicher ist, im Gleichgewicht schwankt oder unbeabsichtigt zieht oder drückt.

  • Vertrauenswürdig: Es sollte sich im Umgang leicht händeln lassen – führen, putzen, satteln – und nicht durch Kleinigkeiten aus der Fassung geraten.

  • Menschenbezogen und freundlich: Ein Pferd, das gerne mitarbeitet, ist Gold wert – gerade für Kinder und Anfänger.


2. Ausbildung und Rittigkeit

  • Solide Grundausbildung: Das Pferd sollte die Hilfen verstehen und umsetzen können, auch wenn sie mal unklar gegeben werden.

  • Verzeihend: Es sollte Fehler nicht sofort „bestrafen“, sondern auch mit ungeschickten Reitern gelassen umgehen.

  • Korrekt arbeitend: Nur ein Pferd, das sich selbst im Gleichgewicht bewegt, kann einem Reiter das richtige Gefühl vermitteln.

  • Vielseitig: Ein gutes Schulpferd ist kein Spezialist, sondern Allrounder. Es sollte nicht nur auf dem Platz gehen, sondern auch im Gelände sicher sein, kleine Sprünge bewältigen können, an Stangen und Trails herangeführt werden und damit vielseitige Lernerfahrungen ermöglichen. Das fördert nicht nur die Ausbildung des Reiters, sondern auch die Motivation und Balance des Pferdes.

  • Alter: Das alles ist bei einem jungen Pferd naturgemäß noch nicht ausgebildet. ein gutes Schulpferd ist daher deutlich erwachsen (Alter ab etwa 8 oder 9 Jahren, je nach Rasse).


3. Körperbau, Gänge und Gesundheit

  • Passender Körperbau: Ideal sind Pferde mit harmonischer Anatomie, gutem Rücken und tragfähiger Muskulatur – sie müssen regelmäßig Anfängergewicht ausbalancieren.

  • Gesund und schmerzfrei: Ein Pferd mit Rückenproblemen oder chronischen Schmerzen kann kein gutes Reitschulpferd sein – es wird sich verspannen oder verweigern.

  • Robust und belastbar: Natürlich sollte es den Anforderungen des Reitbetriebs körperlich gewachsen sein – ohne Überforderung.


Die passende Größe: Weder zu groß noch zu klein


Auch die Größe des Schulpferdes spielt eine wichtige Rolle – für das Pferd und für den Reiter:


  • Für Kinder eignen sich in der Regel robuste Ponys ab ca. 1,15 m Stockmaß, die übersichtlich und leicht händelbar sind.

  • Jugendliche und Erwachsene profitieren von Pferden mit einem Stockmaß zwischen 1,40 m und 1,55 m, je nach Körpergröße und Gewicht.

  • Entscheidend ist die Harmonie zwischen Reiter und Pferd: Der Reiter sollte mit seinen Beinen einwirken können, ohne über den Pferderücken hinauszuragen, und das Pferd sollte das Gewicht problemlos tragen können.


Ein passendes Größenverhältnis erleichtert nicht nur das Reiten, sondern beugt auch Überlastung und Frust auf beiden Seiten vor.


Gänge


In Reitschulen werden überwiegend Anfänger unterrichtet. Diese haben sowieso schon mit der Balance, der Beckenbeweglichkeit und der Koordination zu kämpfen. Ein schwungvoll gehendes Pferd erschwert dies oder macht es gar unmöglich. Für die Reitschüler ist es daher von Vorteil, wenn die Pferde eher flache, unspektakuläre Gänge haben.


Wenn das Schulpferd schnappt oder Sattelzwang zeigt – ein ernstzunehmendes Warnsignal


Viele Reitschüler erleben es früh: Ein Pferd legt beim Satteln die Ohren an, schnappt oder zieht sich beim Gurten zusammen. Solche Verhaltensweisen werden oft als „schlecht gelaunt“ abgetan – doch sie sind in Wahrheit deutliche Hinweise auf körperliches oder seelisches Unwohlsein.


Sattelzwang oder Schnappen können folgende Ursachen haben:

  • schlecht sitzende oder drückende Ausrüstung (Sattel, Gurt, Pads),

  • Rücken- oder Muskelprobleme, oft durch falsche oder einseitige Belastung,

  • übermäßiger Reitbetrieb ohne Erholung und Ausgleich,

  • negative Erfahrungen durch grobes, hektisches oder schmerzhaftes Satteln und Gurten.


Diese Signale sollten niemals ignoriert werden. Ein Pferd, das so reagiert, leidet – körperlich, psychisch oder beides. Es ist dann nicht reitbar im Sinne einer fairen Ausbildung, sondern ein stilles Opfer eines zu fordernden Systems. Eine fundierte tierärztliche, osteopathische oder physiotherapeutische Abklärung ist hier unerlässlich – ebenso wie eine Überprüfung der Ausrüstung.


Was muss die Reitschule leisten?


Auch das beste Pferd kann nur dann ein guter Lehrmeister sein, wenn es entsprechend gehalten, geschult und gepflegt wird. Reitschulen stehen hier in großer Verantwortung.


1. Artgerechte Haltung

Schulpferde brauchen ausreichend Bewegung, Sozialkontakt, Raufutter und Ruhezeiten. Wer den ganzen Tag in einer Box steht und dreimal täglich einen Anfänger trägt, baut Stress und Frust auf – das macht krank.


2. Regelmäßige Gymnastizierung

Schulpferde müssen regelmäßig korrekt geritten und trainiert werden – durch erfahrene Reiter oder Trainer. Nur so bleiben sie gesund und rittig und können den Reitern korrektes Reiten vermitteln.


3. Pausen und Abwechslung

Ein gutes Schulpferd darf nicht „verheizt“ werden. Es braucht freie Tage, Abwechslung im Gelände, Bodenarbeit, Longenarbeit – eben auch mal „Urlaub“ vom Anfängerbetrieb.


4. Individuelle Zuweisung


Nicht jedes Pferd passt zu jedem Schüler. Ein sensibler Reitlehrer achtet darauf, wer mit welchem Pferd zurechtkommt – und wechselt gegebenenfalls rechtzeitig.

Fazit: Schulpferde sind keine Maschinen


Gute Schulpferde sind unbezahlbare Schätze – aber keine Selbstverständlichkeit. Sie brauchen Pflege, Ausbildung und Fürsorge. Und sie verdienen Respekt – auch von Anfängern.


Wer als Reitschüler auf einem verlässlichen, gesunden und korrekt ausgebildeten Pferd sitzen darf, hat die besten Chancen, wirklich reiten zu lernen – im Sinne einer harmonischen, feinen Kommunikation zwischen Mensch und Tier.

Vielleicht ist es an der Zeit, das Bild des „dicken, faulen Schulpferds“ endgültig aus den Köpfen zu verbannen. Denn ein gutes Schulpferd ist nicht irgendein Pferd. Es ist ein Lehrmeister auf vier Hufen.


Tipp für Reitschüler:

Frag ruhig nach, wie das Pferd lebt, ob es auch von fortgeschrittenen Reitern gymnastiziert wird oder wann es seinen letzten Pausentag hatte. Ein guter Reitbetrieb wird gerne Auskunft geben – und hat nichts zu verbergen.


Tipp für Reitbetriebe:

Ein gutes Schulpferd ist kein Sparmodell. Wer in Haltung, Gesundheit und Ausbildung investiert, bekommt langfristig motivierte Pferde, zufriedene Schüler – und deutlich weniger Tierarztkosten.

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