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Wie verändert sich der Schwerpunkt von Pferd und Reiter beim Reiten?

Fragt man Reiterinnen und Reiter, was ein guter Sitz ist, dann hört man oft Schlagworte wie „gerade“, „locker“, „ausbalanciert“. Weniger bekannt ist, dass all diese Aspekte in einer entscheidenden Sache zusammenlaufen: dem gemeinsamen Schwerpunkt von Pferd und Reiter. Doch dieser ist keineswegs ein fester Punkt – sondern ein dynamisches Zusammenspiel, das sich ständig verändert.


bergab Reiten

Der gemeinsame Schwerpunkt – die unsichtbare Achse


Im Idealfall liegen die Schwerpunkte von Pferd und Reiter senkrecht übereinander auf einer Linie. Nur dann ist Reiten „leicht“ – für beide. Dann kann das Pferd sich frei und losgelassen bewegen, und der Reiter wird eins mit dem Pferd. Der Reiter „stört“ nicht, sondern ergänzt das System.


Doch genau das ist die Kunst. Denn der Schwerpunkt ist nicht statisch. Er verändert sich ständig, mit jedem Schritt, jeder Gangart, jeder Geländeform:


  • Bergauf verlagert das Pferd seinen Schwerpunkt leicht nach vorn, um die Hinterhand zu entlasten, die sehr viel Kraft entwickeln muss, um das Pferd nach oben zu schieben.

  • Bergab wandert der Schwerpunkt deutlich nach vorn – und das Pferd gerät schnell aus dem Gleichgewicht, wenn der Reiter nicht mitgeht.

  • In schneller Bewegung – also im Trab und Galopp – verlagern sich die Schwerpunkte ebenfalls deutlich nach vorne. Ein Jockey steht im Bügel über dem Hals, um das Pferd nicht zu beeinträchtigen, weniger ausgeprägt nimmt der Reiter den Oberkörper im lockerem Trab und Galopp etwas vor.


Warum ist der Dressursitz dann gerade?


Der gerade Sitz des Dressurreiters ist in allen Gangarten gerade, weil das Pferd sich in den Hanken gesenkt hat, der Schwerpunkt also etwas weiter nach hinten gewandert ist. Arbeitet das Pferd noch nicht mit Hankenbeugung, gerät der Reiter beim Versuch, gerade zu sitzen, hinter den Schwerpunkt, also "hinter die Bewegung". Das gemeinsame Bewegen wird für Reiter und Pferd sehr unangenehm. Der oft zu sehende "Liege-Schiebe-Sitz" resultiert aus dieser Dynamik.


Reiten lernen heißt: Balance lernen


Reiten lernen kann man als eine Entwicklung in drei Stufen beschreiben – alle hängen direkt mit dem Verständnis und Umgang mit dem Schwerpunkt zusammen:


  1. „Ich störe das Pferd“ Das ist der Normalzustand am Anfang: Der Reiter kann seinen Schwerpunkt noch nicht stabilisieren. Er fällt nach vorne, rutscht zur Seite, kippt im Becken – und bringt das Pferd aus dem Takt. Das Pferd kompensiert, aber das kostet Kraft.


  2. „Ich störe das Pferd nicht mehr“ Mit besserem Sitzgefühl und Körperkontrolle gelingt es dem Reiter, in jeder Situation im Gleichgewicht zu bleiben – egal ob bergauf, im Galopp oder bei einer Wendung. Reiter und Pferd „verschmelzen“, Bewegungen fließen durch den Körper hindurch.


  3. „Ich kann das Pferd beeinflussen“ Der erfahrene Reiter kann durch minimale Schwerpunktverlagerungen dem Pferd Impulse geben: etwas mehr nach vorn – das Pferd beschleunigt. Etwas mehr nach hinten – das Pferd pariert durch. Diese Hilfen sind für Außenstehende oft unsichtbar, für das Pferd aber klar verständlich.


Balanceverlust: Gefahr für Leib und Leben


Was häufig unterschätzt wird: Fehlende Balance ist nicht nur unschön – sie kann gefährlich sein.


Gerade beim Bergabreiten kann ein falsch sitzender Reiter das Pferd dramatisch aus dem Gleichgewicht bringen - mit deutlich erhöhtem Risiko von teils schweren Stürzen, je nach Hangneigung.


Als Fluchttiere geraten Pferde immer in Angst, teils in Panik, wenn sie die Balance verlieren. Und ein panisches Pferd läuft instinktiv los – selbst wenn der Weg gefährlich oder rutschig ist. Denn in der Natur bedeutet Sturzgefahr Lebensgefahr. Ein verletztes Pferd ist Beute. Diese Urangst sitzt tief – und kann auch im Freizeitpferd noch jederzeit ausgelöst werden.


Fazit


Wer reiten will, muss lernen, seinen eigenen Schwerpunkt zu kontrollieren – in jeder Situation, auf jedem Untergrund, in jedem Tempo. Erst dann wird aus Reiten ein feines Gespräch zwischen zwei Gleichgewichtskörpern. Und erst dann kann das Pferd vertrauensvoll, locker und leistungsbereit mitarbeiten.


Reiten ist keine Kraftfrage – es ist eine Frage der Balance. Wer sie versteht, reitet nicht nur besser, sondern sicherer und fairer.


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