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„Das Pferd von hinten nach vorne reiten“ – Was wirklich dahintersteckt

Ein Satz, den jeder Reiter früher oder später hört: „Reite dein Pferd von hinten nach vorne.“ Aber was bedeutet das eigentlich genau? Und warum ist es so wichtig? In einer Zeit, in der Reiter sich oft zu sehr mit der Kopfhaltung des Pferdes beschäftigen, lohnt sich ein Blick auf die Grundlagen guter Reitkunst – und auf das, was die alten Meister uns hinterlassen haben.


Pferd in schöner Selbsthaltung

Was bedeutet „von hinten nach vorne reiten“?


Kurz gesagt: Der Impuls zur Bewegung soll aus der Hinterhand kommen. Das Pferd soll von hinten nach vorne schieben oder tragen – je nach Ausbildungsstand und Lektion. Die treibenden Hilfen (Schenkel, Gewicht, Sitz) aktivieren dabei die Hinterhand, die Energie fließt durch den durchlässigen Rücken nach vorne bis zur Hand des Reiters. Diese fängt die Energie mit einem Impuls auf und veranlasst das Pferd dadurch zur Selbsthaltung. Zügelzug unterbricht den Energiefluss.


Reiten von hinten nach vorne ist also ein Fluss der Energie von hinten nach vorne, der nur dann entsteht, wenn das Pferd losgelassen und im Gleichgewicht ist und der Reiter nicht am Zügel zieht.


Warum von hinten nach vorne?


Der „Motor“ des Pferdes sitzt in der Hinterhand. Hier wird die Bewegung erzeugt. Die großen Muskelgruppen, das Becken, die Hanken – sie sorgen für Vorwärtsdrang, für Schubkraft und später für Versammlungsfähigkeit. Ist der Motor aktiv und funktional, trägt das Pferd sich selbst, bleibt gesund und kann die Anforderungen der Reiterei leisten, ohne Schaden zu nehmen.


Was passiert, wenn der Motor ausfällt?


Wenn das Pferd nicht aus der Hinterhand arbeitet, treten häufig folgende Probleme auf:


  • Schleppende Bewegungen, mangelnder Schwung

  • Falsche Belastung der Vorderhand, was auf Dauer zu Lahmheiten, Verspannungen, Abnutzung und Rückständigkeit führt

  • Keine echte Anlehnung, weil der Rücken blockiert ist – auch wenn der Kopf mit Zügelzug in Position gehalten wird

  • Widerstand in der Hand, weil die Energie nicht richtig durchfließt


Pferde, die nur „vorne schön gemacht“ werden, bewegen sich oft künstlich oder verspannen – und das führt langfristig zu körperlichen wie mentalen Problemen.


Warum bringt es nichts, nur auf die Nase zu schauen?


Viele Reiter fixieren sich auf die Kopf-Hals-Position ihres Pferdes: „Geht er schon rund? Ist der Hals tief genug? Ist die Stirnlinie an der Senkrechten?“ Doch das ist reines Symptomdenken.


Die Nase kann tief oder senkrecht sein – auch wenn das Pferd über der Schulter läuft, den Rücken festhält oder die Hinterhand gar nicht mitmacht. Ein Pferd, das korrekt geritten wird, kommt automatisch in eine passende Kopf-Hals-Position – nicht umgekehrt.


👉 Form folgt Funktion. Erst wenn der Körper korrekt arbeitet, stellt sich die äußere Form natürlich ein.


Was sagen die alten Meister dazu?


Die klassischen Reitmeister wie Gustav Steinbrecht, François Robichon de la Guérinière oder Alois Podhajsky waren sich einig: Die Hinterhand ist das Fundament der Reitkunst.

Gustav Steinbrecht prägte den berühmten Satz:

„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade.“

Er meinte damit: Aktiviere die Hinterhand (und nicht, „renne um ein Leben“) und sorge für eine Ausrichtung der Vorder- und Hinterbeine aufeinander. Das Ziel war immer Losgelassenheit, Gleichgewicht und Selbsthaltung – nicht ein „schönes Bild“ im Hals. Vom Hals ist nie die Rede.


So betont auch La Guérinière, dass ohne eine untertretende Hinterhand keine Versammlung und damit auch keine hohe Schule möglich ist.

Warum ist „von hinten nach vorne reiten“ so entscheidend?


Weil es die Grundlage jeder gesunderhaltenden Reitweise ist. Nur wenn das Pferd aktiv von hinten kommt,

  • wird der Rücken frei und kann schwingen,

  • werden Gelenke und Sehnen richtig belastet,

  • entsteht echte Losgelassenheit,

  • und wird die Kommunikation mit dem Reiter fein und leicht.

Es ist ein Prinzip, das weit über Lektionen und Prüfungsnoten hinausgeht – es ist Pferdeverstand in Reitform.


Fazit: Der Weg führt über die Hinterhand


„Von hinten nach vorne reiten“ ist kein leeres Schlagwort, sondern eine der wichtigsten Grundlagen der Pferdeausbildung. Es erinnert uns daran, dass gutes Reiten nicht an der Nase beginnt, sondern bei der Basis: der Hinterhand, dem Rücken und der Verbindung über den Sitz.


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