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Das „Zusammenschieben“ von Pferden – was ist das und muss das sein?

Aktualisiert: 28. Juni

In der heutigen Reiterei sieht man es fast überall – Pferde, die unter dem Reiter aussehen, als würden sie vorne und hinten „zusammengeschoben“. Der Hals eng, die Hinterhand scheinbar aktiv, der Rücken tief, der Takt stockend. Was auf den ersten Blick nach Kraft und Versammlung aussieht, ist in Wahrheit oft ein biomechanisches Problem – mit gesundheitlichen und ethischen Folgen.


zusammengeschobenes Pferd

Was bedeutet „Zusammenschieben“?


Unter dem Begriff „Zusammenschieben“ versteht man das künstliche Heranholen der Hinterhand an die Vorhand durch Druck und Begrenzung – oft mit viel Hand und viel Schenkel. Dabei wird das Pferd durch die Reiterhilfen zwischen Vor- und Hinterhand förmlich „eingeklemmt“, ohne dass es zu einer echten Aufrichtung oder Selbsthaltung kommt. Das Pferd wird in eine Form „geschoben“, statt sich von innen heraus, also über korrektes Training von Muskulatur und Balance, selbst zu tragen.


Was passiert biomechanisch?


Ein korrekt gerittenes Pferd wölbt den Rücken auf, schwingt durch den Körper und überträgt die Energie der Hinterhand nach vorne über einen weichen Rücken zum Maul. Beim Zusammenschieben hingegen passiert Folgendes:

  • Der Rücken bleibt fest oder sinkt sogar ab

  • Die Hinterhand tritt zwar „weit“, aber oft nicht wirklich unter den Schwerpunkt

  • Der Hals wird oft zu kurz oder zu eng

  • Das Pferd geht auf der Vorhand

  • Die Muskulatur wird unphysiologisch belastet

  • Die mentale und körperliche Losgelassenheit geht verloren


Das Ergebnis: ein Pferd, das vielleicht spektakulär aussieht, aber nicht physiologisch arbeitet.


Ist das gesund?


Nein. Viele Sportpferde zeigen bereits in jungen Jahren Anzeichen von Verschleiß – Rückenprobleme, Spat, Fesselträgerschäden, Arthrosen. Studien zeigen, dass viele Sportpferde frühzeitig aus dem Sport ausscheiden, oft mit erst sechs bis zehn Jahren – ein Alter, in dem ein gut trainiertes Pferd eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit sein sollte.

Studie: Laut einer Untersuchung der Fédération Equestre Internationale (FEI) beträgt das Durchschnittsalter für das Ausscheiden eines Dressurpferdes aus dem Turniersport etwa 10,6 Jahre, wobei orthopädische Probleme zu den häufigsten Gründen zählen (FEI Veterinary Report 2021).

Das ist nicht nur ein gesundheitliches Problem – sondern auch ein ethisches.


Wie ist diese Reitweise entstanden?


Historisch gesehen war Reiten ein Mittel zum Zweck. In der Kriegsreiterei wurde einhändig geritten – mit der anderen Hand hielt man Waffe, Lanze oder Zügel eines zweiten Pferdes. Deshalb war es essenziell, dass das Pferd selbstständig im Gleichgewicht gehen konnte, fein reagierte und „an den Hilfen“ war, ohne dauerhaft gestützt werden zu müssen.

Das klassische Ideal der alten Meister lautete: „Das Pferd muss sich selbst tragen.“ Alles andere war lebensgefährlich. Man wollte Pferde, die mobil waren, reaktionsschnell, balanciert und durchlässig – keine Pferde, die festgehalten werden mussten.


Die Rolle der modernen Sportpferdezucht


Heute hat sich das Zuchtziel verändert. Während früher Robustheit, Vielseitigkeit, Mut und Selbsthaltung gefragt waren, wird heute vor allem auf Optik und Bewegungsmechanik gezüchtet – lange Vorderbeine, schwingende Gänge, "Glühbirnen austreten": Die Pferde sollen die Vorderbeine gestreckt möglichst hoch heben können. Das geht nur, wenn man an der Halswirbelsäule und an der Schulter Stabilität "wegnimmt": Die Folgen für die Pferde sind verheerend: Missgebildete Halswirbel, in der Folge neurologische Ausfälle, Fehbelastungen der Beine, kaputte Rücken und vieles mehr.


Viele Pferde sind dadurch aber von sich aus überbeweglich, aber eben auch sehr instabil. Die Reiter versuchen dann, sie durch Muskelarbeit „irgendwie stabil“ zu bekommen – oft eben über das Zusammenschieben.

„Früher wollte man Pferde mobil machen. Heute versucht man, sie irgendwie stabil zu bekommen.“

Dabei entsteht ein Teufelskreis: Instabile Pferde werden durch fehlerhaftes Training noch instabiler, was wiederum zu Verspannung, Schmerzen und psychischem Widerstand führt.


Und: Durch die angeborene Mobilität, die man nicht mehr solide erarbeiten muss, werden die Pferde immer früher in Prüfungen vorgestellt, für die sie noch nicht genug trainiert sind. Gutes Training braucht Zeit.


Was wäre die Alternative?


Zurück zu den Wurzeln:


  • Mehr Zeit für ein solides Basistraining

  • Weniger Fokus auf spektakuläre Bewegungen, mehr auf gesunde Biomechanik

  • Respekt vor der Natur des Pferdes

  • Ein Reiten, das Losgelassenheit und Selbsthaltung über Kraft und Korrektur stellt

  • Überdenken der Zuchtziele, konsequenter Ausschluss von Pferden mit ECVM z.B..


Ein Pferd, das sich selbst trägt, das gern mitarbeitet, das mit Leichtigkeit und Eleganz geht – das ist das wahre Ziel. Nicht ein in Form gepresstes Tier, das nur scheinbar versammelt ist.


Fazit


Das Zusammenschieben von Pferden ist kein Ausdruck hoher Reitkunst, sondern ein Missverständnis – oder in manchen Fällen sogar eine Form der Überforderung und Gewalt. Es schadet nicht nur der körperlichen Gesundheit des Pferdes, sondern auch seiner Psyche. Eine Reitweise, die auf natürlicher Balance, Geduld und dem Prinzip der Selbsthaltung basiert, ist der nachhaltigere, gesündere – und auch ethischere – Weg.


Denn das beste Pferd ist nicht das, das man in eine Form drückt – sondern das, das sich von innen heraus entfaltet und strahlt.

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