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Geraderichten – Schlüssel zur Balance und Gesundheit des Reitpferdes

Geraderichten ist einer der zentralen Begriffe in der klassischen Reitlehre – und doch oft missverstanden oder unterschätzt. Dabei ist es eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass ein Pferd unter dem Reiter gesund, losgelassen und in Balance laufen kann. In diesem Artikel erfährst du, was Geraderichten genau bedeutet, warum es so wichtig ist, wie Pferde sich in der Natur bewegen, und wie du die Geraderichtung deines Pferdes gezielt fördern kannst – auch im Gelände.


Pferd auf Weg

Was bedeutet Geraderichten überhaupt?


Geraderichten heißt nicht, dass das Pferd wie ein Lineal geradeaus läuft. Vielmehr bedeutet es, dass das Pferd lernt, seine natürliche Schiefe auszugleichen und auf beiden Händen gleichmäßig belastet und beweglich zu sein. Das Ziel ist ein Pferd, das in der Längsachse – also von der Schweifwurzel bis zum Genick – geradegerichtet ist, sowohl auf geraden Linien als auch in Biegungen.


Wie bewegt sich ein Pferd in der Natur?


Jedes Pferd ist – wie der Mensch – von Natur aus leicht schief. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass es:


  • mit einem Hinterbein (meist dem linken) weiter unter den Schwerpunkt tritt als mit dem anderen,

  • sich auf einer Hand leichter stellen und biegen lässt,

  • sich asymmetrisch trägt und eine „hohle“ und eine „steife“ Seite hat.


In der Natur ist diese Schiefe kein Problem, da das Pferd nur sein eigenes Gewicht tragen muss und sich frei bewegen kann. Doch unter dem Reiter verändert sich alles.


Warum muss ein Pferd unter dem Reiter anders laufen?


Sobald ein Reiter aufsitzt, verschiebt sich der Körperschwerpunkt des Pferdes. Es muss zusätzliches Gewicht ausbalancieren und gleichmäßig auf alle vier Beine verteilen. Bleibt die natürliche Schiefe dabei bestehen, führt das zu:


  • einseitiger Abnutzung von Gelenken, Hufen und Muskulatur,

  • Verspannungen,

  • Problemen bei Biegung, Stellung und Übergängen,

  • Schwierigkeiten in der Anlehnung,

  • langfristig zu Lahmheiten oder Unrittigkeit.


Geraderichten ist also keine kosmetische Maßnahme – es ist aktive Gesundheitsvorsorge und Grundlage jeder fundierten Ausbildung.


Wie fördert man die Geraderichtung?


Geraderichten ist kein einzelner Ausbildungsschritt, sondern ein fortlaufender Prozess. In der klassischen Ausbildungsskala ist es als fünfter Punkt verankert – doch in der Praxis beginnt man damit schon sehr früh.


Geeignete Übungen für das Geraderichten:


  • Zirkel, Volten und Schlangenlinien fördern die Biegung und verbessern die Beweglichkeit auf beiden Seiten.

  • Seitengänge wie Schulterherein, Travers und Renvers helfen, die Hinterhand gerade zu führen und die Schultern zu kontrollieren.

  • Geradeaus-Reiten ohne Bande (z. B. auf der Viertellinie) zeigt, ob das Pferd wirklich gerade läuft.

  • Übergänge zwischen den Gangarten fördern die Selbsthaltung und Lastaufnahme.

  • Arbeit an der Hand oder Longe kann gezielt genutzt werden, um die Geraderichtung ohne Reitergewicht zu schulen.


Geraderichten im Gelände – so geht’s draußen


Nicht nur in der Halle oder auf dem Reitplatz kannst du an der Geraderichtung arbeiten – auch im Gelände bieten sich viele natürliche Trainingsmöglichkeiten, oft sogar effektiver und motivierender für Reiter und Pferd.


Tipps für die Geraderichtung im Gelände:


  • Reite bewusst nicht immer am Wegrand, sondern mal in der Mitte oder wechselnd – so muss das Pferd sich selbst tragen und gerade bleiben.

  • Nutze Übergänge (Schritt–Trab, Trab–Galopp, Halten) auch auf dem Feldweg, um Balance und Aufmerksamkeit zu fördern.

  • Folge geschwungenen Wegen bewusst in Biegung und Stellung, als natürliche Alternative zu Bahnfiguren.

  • Berge und leichte Steigungen sind ideal zur Aktivierung der Hinterhand und Förderung der Aufrichtung.

  • Reite auf offenen Flächen Schlangenlinien, Handwechsel oder weiche Seitengänge – das ist Gymnastik mit Aussicht!

  • Beobachte dein Pferd am lockeren Zügel, ob es in sich gerade bleibt oder zur Seite driftet – das gibt wertvolle Hinweise.


Warum Gelände so wertvoll ist:


Im Gelände ist das Pferd wacher, die Bodenverhältnisse sind abwechslungsreicher, und die Eigenwahrnehmung (Propriozeption) wird gefördert. So wird auch die Muskulatur zur Stabilisierung und Balance besser geschult – oft ganz ohne Zwang.


Warum sind Fahrpferde oft geradegerichteter?


Viele Fahrpferde zeigen bereits eine bessere Geraderichtung, was mehrere Gründe hat:


  • Sie ziehen in gerader Richtung – Schiefe wird durch die Kutsche eingeschränkt.

  • Das Geschirr (Brustblatt oder Kumt) verteilt die Last gleichmäßig auf beide Schultern.

  • Die Fahrleinen geben beidseitig gleichmäßige Impulse, was einseitige Einwirkung verhindert.

  • In Mehrspännern müssen Pferde synchron laufen – das schult Koordination und Gleichmaß.


Natürlich gibt es auch unter Fahrpferden individuelle Schiefe, aber die Arbeitsweise im Zug fördert oft eine automatische Korrektur und Balance.


Fazit: Ohne Geraderichten keine gesunde Bewegung


Geraderichten ist nicht nur ein Ausbildungsziel, sondern ein zentraler Bestandteil verantwortungsvoller Reitweise. Es schützt vor Überlastung, verbessert die Rittigkeit und legt die Basis für gesunde, leistungsbereite Pferde – egal in welcher Disziplin. Wer konsequent und fair an der Geraderichtung arbeitet, wird mit einem losgelassenen, tragfähigen und zufriedenen Partner belohnt – sei es im Viereck, auf dem Trail oder beim gemütlichen Geländeritt.


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