Hilfszügel – Teufelszeug oder sinnvolle Unterstützung?
- sabinelagies
- 30. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Ein kritischer Blick auf Nutzen, Risiken und Voraussetzungen
Hilfszügel polarisieren. Die einen sehen sie als praktisches Hilfsmittel zur besseren Ausbildung des Pferdes, die anderen als Symbol für gewaltsames Einwirken und fehlendes Können. Aber was ist wirklich dran? Sind Hilfszügel nützliche Unterstützer oder eher ein Zeichen dafür, dass etwas im Reittraining nicht stimmt?

Was sind Hilfszügel?
Hilfszügel sind Zusatzriemen, die in das normale Zäumungs- und Gurtsystem integriert werden. Sie sollen helfen, dem Pferd eine bestimmte Kopf-Hals-Haltung näherzubringen, etwa durch Begrenzung der Kopfposition nach oben, starr (z. B. Ausbinder) oder bedingt flexibel (z. B. Chambon, Gogue).
Bekannt sind:
Dreieckszügel
Ausbinder (Gleit-, feste)
Chambon
Gogue
Schlaufzügel
Martingal
Ziel ist es meist, die Dehnung nach vorn-unten zu fördern oder ein „sich Aufrollen“ oder „Aufstemmen“ zu verhindern. Doch hier beginnt das Dilemma.
Der schmale Grat: Hilfe oder Zwang?
Richtig eingesetzt, können manche Hilfszügel vorübergehend (für 2 bis 3 Tage) helfen, Balance und Losgelassenheit zu fördern – insbesondere bei jungen oder unausbalancierten Pferden unter Anleitung eines erfahrenen Ausbilders. Falsch eingesetzt, führen sie jedoch häufig zu genau dem Gegenteil: Verspannungen, Blockaden, psychischem Stress und fehlerhaften Bewegungsmustern.
Studienlage:Licka & Peham (1998) untersuchten die Wirkung von Ausbindern und fanden, dass diese oft die natürliche Nickbewegung des Pferdes blockieren – mit Auswirkungen auf die Rückentätigkeit. Eine Studie von Dyson et al. (2018) zeigt zudem, dass Pferde, die mit zu kurzen Hilfszügeln geritten werden, häufiger Schmerzverhalten und Taktfehler zeigen.
Kann man mit Hilfszügeln die Ausbildung abkürzen?
Klare Antwort: Nein. Hilfszügel können keine korrekte Ausbildung ersetzen. Ein Pferd trägt sich nicht „automatisch“ besser, nur weil es in eine bestimmte Position gezwungen wird. Im Gegenteil: Wird das Pferd mechanisch in eine Haltung gebracht, die es muskulär und koordinativ nicht leisten kann, entsteht:
Gegenspannung statt Losgelassenheit
Fehlende Rückentätigkeit
Widerstand statt Anlehnung
Dr. Gerd Heuschmann warnt in zahlreichen Vorträgen und Publikationen vor dem Missbrauch von Hilfszügeln.
Zitat: „Nur weil der Hals rund ist, bedeutet das noch lange nicht, dass das Pferd korrekt über den Rücken geht.“
Wer braucht sie – und wer nicht?
Sinnvoll sein können Hilfszügel bei:
jungen Pferden in der Handarbeit oder an der Longe (unter Anleitung)
vorübergehend bei Korrekturpferden mit massiven Problemen
Reitanfängern, wenn sie dem Pferd helfen sollen, das Gleichgewicht zu halten – nicht umgekehrt. Das funktioniert aber nur, wenn die Pferde sehr weit ausgebildet sind und der Reiter keine Zügel in der Hand hat.
Nicht sinnvoll oder schädlich sind Hilfszügel:
als Dauerlösung
bei fehlerhafter Zügelführung
bei fehlender Losgelassenheit
bei unausgebildeten Reitern ohne Schulung
bei Angst, das Pferd „hochzukriegen“
als Ersatz für Sitzschulung, gute Handarbeit und Training
Fachleute betonen immer wieder: Ein Reiter, der korrekt sitzen kann, feine Hilfen gibt und ein geschultes Auge hat, braucht in der Regel keine Hilfszügel. Sie sind kein Zeichen von Können – sondern oft ein Hinweis auf fehlende Alternativen, also fehlendes Können.
Voraussetzungen für den sinnvollen Einsatz
Wer mit Hilfszügeln arbeiten will, muss:
Wissen, was biomechanisch sinnvoll ist.
Die Wirkung jedes Zügels auf den Körper des Pferdes kennen.
Das Pferd jederzeit korrekt einschätzen können: Ist es verspannt? Zieht es gegen? Lässt es los?
Einen Plan haben, wie und wann die Hilfszügel wieder abgebaut werden.
Nur wer diese Kriterien erfüllt, kann eventuell punktuell und gezielt von Hilfszügeln profitieren – als temporäre Brücke, nicht als ständiges Konstrukt.
Und was ist bei Schulpferden?
Schulpferde laufen oft generell mit Hilfszügeln, die das Pferd in eine bestimmte Kopf-Hals-Haltung zwingen, die der Reiter reiterlich noch nicht herstellen kann. Das aber führt zu massiven Verspannungen und Schmerzen. Das Pferd läuft unrund, der Reiter kann keinen korrekten Sitz entwickeln.
Sowohl aus tierethischer Sicht, wie auch im Hinblick auf den Lernfortschritt sind Hilfzügel in dieser Form nicht sinnvoll.
Fazit: Teufelszeug oder Trainingshilfe?
Hilfszügel sind weder pauschal schlecht noch automatisch gut. Sie sind ein Werkzeug – und wie jedes Werkzeug stehen sie und fallen sie mit dem, der sie einsetzt. In der Hand eines erfahrenen Ausbilders können sie zeitweise bei bestimmten Korrekturen helfen. In der Hand eines unerfahrenen Reiters werden sie schnell zum Problemverstärker, nicht zum Problemlöser.
Wer langfristig ein losgelassenes, korrekt arbeitendes Pferd will, muss den Weg über Geduld, gute Ausbildung, korrekten Sitz und Gefühl gehen – nicht über mechanische Abkürzungen.
Weiterführende Literatur und Studien:
Licka, T. & Peham, C. (1998): Influence of side reins on the movement of the horse’s back and neck. Equine Veterinary Journal.
Dyson, S. et al. (2018): Application of the Ridden Horse Pain Ethogram (RHpE) to horses ridden with auxiliary reins. Journal of Equine Veterinary Science.
Heuschmann, G. (2007): Finger in der Wunde – Was uns die Pferde über fehlerhafte Ausbildung sagen.
Miesner, E. & Duncan, J. (2008): Use and misuse of training aids in equine practice. Veterinary Clinics of North America.


