Impulsreiten – warum das für das Pferd verständlicher ist
- sabinelagies
- 29. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Pferde sind Meister der feinen Kommunikation. Sie reagieren auf kleinste Körpersignale, auf Blicke, Gewichtsverlagerungen oder Muskelspannung. Diese feine Sensibilität macht sie zu wunderbaren Partnern – aber auch zu sensiblen Schülern. Wie wir als Reiter mit Hilfen umgehen, beeinflusst ganz maßgeblich, wie klar, verständlich und letztlich auch fair wir mit dem Pferd kommunizieren. In diesem Zusammenhang wird oft vom „Impulsreiten“ gesprochen. Was das bedeutet – und warum es für das Pferd viel klarer ist – schauen wir uns in diesem Artikel genauer an.

Dauerhafter Druck macht stumpf – das Prinzip der Habituation
Wird ein Reiz ständig oder über längere Zeit ohne Veränderung gesetzt, verliert er seine Wirkung. Dieses Phänomen nennt man in der Verhaltenspsychologie Habituation – eine Form des Lernens, bei der ein Organismus auf einen Reiz mit der Zeit nicht mehr reagiert.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Du übernachtest bei Freunden, die an einem Bahngleis wohnen. Du tust die ganze Nacht kein Auge zu, weil die Züge so laut sind. Deine Freunde hingegen hören sie gar nicht mehr. Sie haben sich an das Geräusch gewöhnt.
Oder ein Beispiel aus der Reitpraxis: Ein Reiter treibt permanent mit den Waden, weil das Pferd „nicht genug vorwärtsgeht“. Anfangs reagiert das Pferd vielleicht noch mit mehr Schub – aber bald gewöhnt es sich an den Reiz. Die Waden drücken ja ohnehin ständig – warum noch reagieren?
Die Folge: Das Pferd wird „stumpf“. Die Hilfen müssen immer stärker, grober oder schärfer werden, um überhaupt noch eine Reaktion hervorzurufen. Der Reiter ist frustriert, das Pferd genervt – und in vielen Fällen leidet dabei auch die Beziehung zwischen beiden.
Impuls statt Dauer: So funktioniert verständliche Hilfegebung
Impulsreiten bedeutet, Reize kurz, gezielt und dosiert zu geben. Der Reiz (z. B. eine Wade, die kurz drückt) wird sofort wieder weggenommen, sobald das Pferd richtig reagiert – das nennt man negative Verstärkung: Ein unangenehmer Reiz (z. B. Druck) wird beendet, sobald das erwünschte Verhalten (z. B. Losgehen) erfolgt.
Das Pferd lernt:„Ich tue etwas – und der Reiz hört auf.“Das ist klar, nachvollziehbar und fair.
Diese Form der Lernpsychologie ist gut untersucht – sie gehört zum Standardwissen der Tiertrainingslehre. Studien zur Lerntheorie bei Pferden zeigen deutlich: Pferde lernen am schnellsten durch negative Verstärkung, wenn diese präzise und konsistent angewendet wird (siehe z. B. McGreevy & McLean, 2007).
Ein Beispiel: Die treibende Hilfe beim Anreiten
Variante A (Druckreitweise): Der Reiter treibt dauerhaft mit den Schenkeln.→ Das Pferd reagiert nicht mehr.→ Es braucht Sporen oder Gerten.→ Das Pferd wird widerwillig, widersetzlich oder überreizt.
Variante B (Impulsreitweise): Der Reiter gibt einen kurzen Impuls mit der Wade.→ Das Pferd geht los.→ Der Reiter nimmt sofort jede Hilfe zurück.→ Das Pferd lernt, sensibel zu reagieren.
Was verlangt Impulsreiten vom Reiter?
Impulsreiten klingt einfach – ist aber in der Umsetzung anspruchsvoll. Es verlangt viel Körperbeherrschung, Timing und Reaktionsschnelligkeit. Denn:
Die Hilfe muss punktgenau kommen.
Die Hilfe muss sofort aufhören, wenn das Pferd reagiert.
Der Reiter muss dauerhaft aufmerksam und präsent sein.
Es braucht Feingefühl statt Kraft – und das bedeutet auch: Der Reiter muss selbst losgelassen, balanciert und unabhängig im Sitz sein. Ein klammernder Sitz, ein steifer Oberkörper oder fehlende Körperspannung sabotieren die feine Kommunikation.
Was sagen die alten Meister?
Auch die klassischen Reitmeister wussten um die Kraft des Impulses:
François Robichon de La Guérinière (1688–1751) betonte in seiner „École de Cavalerie“ die Bedeutung einer minimalen, aber präzisen Hilfengebung. Die Hilfen sollten „so wenig sichtbar wie möglich“ sein. Dauerhafter Druck galt als grob, unfair und ungeschickt.
Gustav Steinbrecht (1808–1885) schreibt in seinem Werk „Das Gymnasium des Pferdes“, dass jede Hilfe mit der „passendsten Energie, im rechten Moment und in der genau richtigen Dosierung“ erfolgen müsse – und sofort zu unterbleiben habe, wenn das Pferd richtig reagiert.
Auch Philippe Karl betont immer wieder die Bedeutung klarer, punktueller Reize: „Dauerhafte Hilfen stumpfen das Pferd ab. Eine Hilfe, die nicht aufhört, ist keine Hilfe – sie ist Missbrauch.“
Fazit: Impulsreiten = klare Kommunikation + echte Partnerschaft
Impulsreiten macht Pferden das Lernen leichter. Es sorgt für klare Signale, verhindert Überforderung und respektiert die Sensibilität des Tieres. Es verlangt vom Reiter allerdings mehr Präzision, Koordination und Aufmerksamkeit – aber genau das ist der Weg zu einer echten Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd.
Pferde sind nicht dazu da, stumpf auf Dauerdruck zu reagieren. Sie wollen – und können – fein geritten werden. Wer ihnen mit Respekt, Wissen und Feingefühl begegnet, wird mit einem motivierten, kooperativen und zufriedenen Pferd belohnt.
Quellen:
McGreevy, P., & McLean, A. (2007). Equitation Science. Blackwell Publishing.
La Guérinière, F. R. de (1733). École de Cavalerie.
Steinbrecht, G. (1885). Das Gymnasium des Pferdes.
Karl, P. (2004). Irrwege der modernen Dressur. Cadmos Verlag.


