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Klettern im Gelände – Die unterschätzte Schule der Pferdeausbildung

Aktualisiert: 30. Juni

In der heutigen Reitausbildung spielt sich das meiste auf Reitplätzen und in Hallen ab: Dressurvierecke, Longierzirkeln, Stangentraining. Doch etwas ist dabei verloren gegangen – eine natürliche, vielseitige Trainingsform, die einst selbstverständlicher Teil der Ausbildung war: Klettern im Gelände.


Reiter klettert mit Pferd

Das bewusste Bewegen des Pferdes in hügeligem oder bergigem Gelände kann wahre Wunder wirken – für Körper, Geist und Losgelassenheit. Warum? Das schauen wir uns genauer an.


Warum Klettern? – Die Kraft der natürlichen Bewegung


In der Natur bewegen sich Pferde ständig in unterschiedlichem Terrain: sie steigen, steigen ab, gleichen aus, balancieren sich. Diese Bewegung ist dreidimensional, funktional und vollständig muskelaktivierend. Genau das macht sie zu einem wertvollen Trainingsinstrument – besonders in einer Zeit, in der viele Pferde Bewegungsmangel, Dysbalancen oder muskuläre Schwächen zeigen.


Klettern im Schritt über natürliche Steigungen fördert:

  • Hinterhandaktivität und Lastaufnahme

  • Koordination und Gleichgewicht

  • Stärkung der Rücken- und Bauchmuskulatur

  • Aufrichtung und Eigenbalance ohne Zwang

  • Psyche & Selbstbewusstsein des Pferdes


Klettern ist also viel mehr als „Spazierengehen mit Steigung“ – es ist aktive Gymnastik, funktionales Krafttraining und eine mentale Schule in einem.


Für welche Pferde eignet sich das Klettern besonders?

Tatsächlich profitieren fast alle Pferde vom Klettern – mit unterschiedlichem Schwerpunkt:

Pferdetyp

Wirkung

Jungpferde

Schulung der Trittsicherheit, Selbstbewusstsein, Gleichgewicht

Rücken- oder schwach bemuskelte Pferde

Aktiviert die lange Rückenmuskulatur, Bauchmuskeln, Hinterhand

Steife oder verspannte Pferde

Sanfte Mobilisation, Verbesserung der Bewegungsqualität

Triebige Pferde

Natürliches Wachwerden und mehr Vorwärtsdenken

Temperamentvolle Pferde

Fördert Konzentration und kontrollierte Eigenaktivität

Rekonvaleszenten (mit Tierarzt-Okay!)

Schonende Rückführung in die Arbeit, verbessert Propriozeption

Einzige Voraussetzung: Das Gelände sollte dem Ausbildungsstand angepasst sein – lieber kleine Hügel als steile Bergpässe. Und: immer Schritt! Der Fokus liegt auf bewusster, tragender Bewegung – nicht auf Tempo.


Welche Probleme lassen sich mit Klettern lösen?


Klettern ist kein Allheilmittel – aber ein wirksames Werkzeug bei:


  • Schwacher Hinterhand oder mangelnder Lastaufnahme

  • Knickproblemen / Widersetzlichkeiten beim Übergang zur Versammlung

  • Schleppender Rückentätigkeit

  • Rückenverspannung oder Trageschwäche

  • Schlechter Balance oder häufigem Stolpern

  • Bewegungsunlust / mangelndem Schwung


In vielen Fällen zeigt sich bereits nach wenigen Einheiten eine Verbesserung der Taktreinheit, Durchlässigkeit und Rückentätigkeit. Nicht, weil das Pferd "gezwungen" wurde – sondern weil es sich selbständig besser organisieren kann.


Wie gingen die alten Meister mit Gelände und Klettern um?


In der klassischen Reitkunst war das Gelände nicht optional, sondern integraler Bestandteil der Ausbildung:


  • Gustav Steinbrecht, der Begründer der klassischen deutschen Reitweise, empfahl regelmäßiges Reiten im Gelände zur Kräftigung und Losgelassenheit. Besonders die „Waldwege“ und Steigungen nannte er „wertvolle Hilfsmittel“ zur natürlichen Gymnastizierung.


  • François Robichon de La Guérinière, einflussreicher Meister der französischen Schule, sah Ausritte und Arbeit auf unebenem Boden als Schlüssel zu einem sicheren, ausbalancierten Pferd.


  • Auch Philippe Karl und moderne Vertreter der École de Légèreté betonen die Bedeutung des freien Geländes – zur Förderung der Selbsthaltung, ohne ständigen Zügeleinfluss.


Diese Meister waren sich einig: Der Platz bildet – das Gelände formt.


Tipps für die Praxis: So gelingt sinnvolles Klettern


  1. Klein anfangen: Leichte Hänge, sanfte Anstiege – keine Kraftakte. Lieber Qualität im Schritt als „Hauruck" im Trab.

  2. Reiterhaltung bewusst: Leicht entlastender Sitz (kein Klammern!), Zügel locker mit Kontakt, Pferd darf den Kopf zur Balance benutzen.

  3. Variieren: Bergauf, bergab, seitlich schräge Linien – immer wieder neue Reize.

  4. Pausen einbauen: Bergarbeit ist anstrengend – wie Muskeltraining im Fitnessstudio.

  5. Aufmerksamkeit fördern: Pferd selbst schauen und fühlen lassen – nicht stören.

  6. Barhuf oder eisenlos bevorzugt: Für bessere Bodenhaftung und Fühlung (alternativ: gute Hufschuhe).


Fazit: Klettern als vergessene Schule


Klettern ist ein Geschenk an die Pferdeausbildung. Es fordert nicht, sondern fördert. Es baut auf, statt zu überfordern. Und es führt das Pferd – körperlich und mental – zur Selbstständigkeit und Eigenbalance.


Wer sein Pferd gesund, stolz und tragfähig erhalten möchte, sollte sich von Platz und Halle lösen – und den Hang zur Harmonie im Gelände suchen.


Tipp zum Schluss: Du brauchst kein Hochgebirge – schon ein Waldweg mit moderaten Hügeln oder eine schräge Wiese können dein Trainingsprogramm revolutionieren. Probier’s aus – und beobachte, wie dein Pferd mehr Schwung, Tragkraft und Freude entwickelt.


Und falls Du Dir die Info ausdrucken möchtest: Hier eine kurze Zusammenfassung 🙂


Zusammenfassung des Nutzens von Klettern mit dem Pferd

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