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Losgelassenheit – Die unsichtbare, aber unverzichtbare Basis guten Reitens

Ob Freizeitpferd oder Dressuraspirant, Westernpferd oder Vielseitigkeitscrack – Losgelassenheit ist die Grundvoraussetzung für jede Art der Arbeit mit dem Pferd. Sie steht nicht zufällig an zweiter Stelle der Ausbildungsskala, gleich nach dem Takt, und wird doch viel zu oft übergangen. Dabei entscheidet sie über Körper und Geist des Pferdes – und damit über dessen Gesundheit und Rittigkeit.


entspanntes Pferd

Was ist Losgelassenheit?


Losgelassenheit beschreibt einen Zustand von körperlicher und mentaler Entspannung bei gleichzeitigem Tonus und aktiver Mitarbeit. Das Pferd ist durchlässig, beweglich und willig. Es hält keinen Widerstand, sondern arbeitet mit dem Reiter – locker, aber nicht schlapp. Es trägt seinen Reiter nicht „unter Zwang“, sondern mit innerer und äußerer Balance.


Typische Anzeichen für echte Losgelassenheit:

  • Taktmäßige, schwingende Bewegungen

  • Lockerer, durchschwingender Rücken

  • Gleichmäßige Atmung, ggf. leises Schnauben

  • Kaubewegungen am Gebiss, Kauen ohne Zähneknirschen

  • Schweif ruhig oder locker pendelnd

  • Offenes Ohrenspiel und weiche Augen


Warum ist Losgelassenheit unverzichtbar?


Ein Pferd, das verspannt ist – sei es körperlich oder psychisch – kann nicht lernen, nicht korrekt arbeiten und nicht gesund erhalten werden.


Ohne Losgelassenheit:

  • wird die Rückenmuskulatur blockiert → das Pferd tritt nicht unter, der Rücken sackt ab

  • entstehen Widerstände gegen Hilfen, oft interpretiert als „Ungehorsam“

  • geht das Pferd in physischer Schonhaltung, was zu Schäden an Gelenken, Sehnen und Bändern führen kann

  • verkrampft sich die Muskulatur → Verletzungen und Fehlhaltungen drohen

  • ist echte Anlehnung und Durchlässigkeit nicht möglich


Losgelassenheit ist wie der Zündschlüssel für gutes Reiten. Ohne sie bleibt das beste Reitkonzept im Leerlauf.


Wie stellt man Losgelassenheit her?


Losgelassenheit kann nicht erzwungen werden, sondern entsteht aus einer sinnvollen, gymnastizierenden Arbeit in Verbindung mit einem einfühlsamen Reiter. Wichtige Faktoren dabei:


1. Verständliche, feine Hilfen

Das Pferd muss den Reiter „lesen“ können. Hektische, widersprüchliche oder grobe Hilfen führen zu Anspannung.


2. Gleichgewicht und Rhythmus

Takt, Balance und ruhige Übergänge helfen dem Pferd, sich körperlich zu koordinieren – das gibt Sicherheit.


3. Losgelassener Reitersitz

Ein fester, verkrampfter oder unausbalancierter Reiter überträgt Spannung direkt auf das Pferd.


4. Abwechslung und mentale Entspannung

Wiederholungen im richtigen Maß, Pausen, entspannte Übergänge und auch mal eine lockere Einheit fördern geistige Losgelassenheit.


"Zurück auf Los" – Wenn Losgelassenheit verloren geht

In jeder Reiteinheit – und auch in der langfristigen Ausbildung – kann Losgelassenheit verloren gehen: durch Überforderung, äußere Störungen, Unwohlsein oder technische Fehler. In diesem Fall gilt:


👉 Nicht weitermachen – sondern zurück zur Basis.


Ein Pferd ohne Losgelassenheit ist wie ein Musiker, dessen Instrument verstimmt ist: Was immer gespielt wird, klingt falsch.


Der Weg zurück:

  • Schritt reiten am langen Zügel

  • Tempiwechsel im Trab zur Förderung der Aktivität

  • Leichttraben statt einsitzen

  • Übergänge zwischen den Gangarten

  • Vorwärts-abwärts-Dehnung


Was sagen die alten Meister?


Die alten Meister der Reitkunst – von Xenophon über Steinbrecht bis hin zu Baucher – waren sich einig: Zwang führt zu nichts. Nur Losgelassenheit öffnet die Tür zur echten Ausbildung.

Gustav Steinbrecht:

„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade.“Ohne Losgelassenheit ist beides nicht möglich – das Pferd kann weder korrekt vorwärts noch gerade gerichtet gehen.

François Baucher:

„Ruhe ist die erste Grundlage der Ausbildung.“

Auch Xenophon erkannte schon:

„Was mit Gewalt erreicht wird, ist dem Pferd widerwärtig – das Beste wird mit Sanftheit erreicht.“

Diese Erkenntnisse gelten bis heute – sie sind zeitlos.


Folgen von Reiten ohne Losgelassenheit


Wer ohne Losgelassenheit arbeitet – sei es aus Ungeduld, Unkenntnis oder Ehrgeiz – riskiert schwere, langfristige Schäden:

  • Rückenprobleme und Trageerschöpfung

  • Blockaden der Wirbelsäule und Verspannungen

  • Taktfehler, Lahmheiten und Arthrosen

  • Psychische Abwehrverhalten wie Bocken, Steigen, Verweigerung

  • Verlust von Vertrauen und Partnerschaft


Und vor allem: Das Pferd verlernt, Freude an der Bewegung zu haben. Was bleibt, ist reiner Funktionalismus – auf Kosten des Lebewesens.


Fazit: Losgelassenheit ist kein Luxus – sie ist Pflicht

Losgelassenheit ist keine Phase in der Ausbildung, die man „abhakt“. Sie ist ein ständiger Zustand, den man immer wieder herstellen, erhalten und respektieren muss. Sie ist Voraussetzung für Anlehnung, Versammlung und jeden Fortschritt – aber vor allem für das Wohlbefinden des Pferdes.


Reiten ohne Losgelassenheit ist wie Schreiben mit gebrochener Hand: Man kann es versuchen, aber es wird nie richtig gut – und es wird schmerzen.


Tipp zum Schluss: Wenn du dir nicht sicher bist, ob dein Pferd losgelassen ist – mach eine Pause, atme, beobachte. Oft zeigt dir dein Pferd selbst, wann es bereit ist – und wann du „zurück auf Los“ musst.



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