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Macht es Sinn, ein Pferd in Beritt zu geben?


Pferde sind keine Sportgeräte. Sie sind soziale, sensible Wesen, die in festen Herdenstrukturen leben und auf stabile, vertrauensvolle Beziehungen angewiesen sind. Diese Tatsache wirft grundlegende Fragen auf, wenn es um das Thema „Beritt“ geht – also darum, ein Pferd für einige Wochen oder Monate an einen professionellen Reiter oder Trainer abzugeben.


Bereiter

Beziehung statt Gebrauch


Ein Pferd ist in der Lage, starke Bindungen zu seinem Menschen aufzubauen. Diese Beziehung ist die Grundlage für Kommunikation, Vertrauen und eine gelingende Zusammenarbeit im Training. Wird ein Pferd für eine Zeit „weggegeben“, bedeutet das nicht nur einen Wechsel des Menschen, sondern häufig auch des Umfelds, der Herde, des Rhythmus. Für ein Herdentier, das Sicherheit durch Vertrautheit sucht, kann das eine große Belastung sein.


Beritt kann zwar kurzfristig technische Fortschritte zeigen – etwa ein besseres Gangbild, mehr Durchlässigkeit oder die technisch bessere Ausführung einer Lektion. Doch was passiert, wenn das Pferd zurückkehrt und der Mensch nicht über die nötigen Fähigkeiten verfügt, um diesen Stand zu halten oder weiterzuentwickeln? Häufig zeigt sich: Das Pferd funktioniert im Beritt – aber nicht unter dem Besitzer.


Nachhaltigkeit – ein großes Fragezeichen


Ein Pferd dauerhaft „gut laufen lassen“ zu können, ist mehr als Reittechnik. Es erfordert Körpersprache, Timing, Einfühlungsvermögen und eine gemeinsame Sprache, die nur im gemeinsamen Lernprozess entsteht. Wird dieser Prozess ausgelagert, fehlt dem Menschen genau diese Erfahrung. Und dem Pferd fehlt die Möglichkeit, seinen Menschen kennenzulernen – mit all seinen Stärken, Schwächen, Unsicherheiten und Bewegungsmustern.


Hier stellt sich die Frage: Ist es wirklich nachhaltig, wenn ein anderer das Pferd reiten kann – aber man selbst nicht?


Turniersport: Wer gewinnt eigentlich?


Gerade im Turniersport zeigt sich das Dilemma besonders deutlich. Oft übernehmen Bereiter oder Trainer unter der Woche das Training, während der Besitzer oder Juniorreiter am Wochenende die Leistung abruft. Doch wer hat hier wirklich die Arbeit gemacht – und wer bekommt die Schleife?


Diese Praxis stellt die Idee des partnerschaftlichen Reitens in Frage. Sie verwandelt das Pferd in ein Werkzeug zur Ego-Befriedigung oder zum Karriereschritt. Und das ist weder fair noch pferdegerecht.


Was ist mit „Problempferden“?


Viele Pferde, die als schwierig oder „nicht reitbar“ gelten, zeigen in Wahrheit lediglich Stress, Überforderung, Missverständnisse oder Schmerzen. Ein erfahrener Bereiter kann vielleicht Wege finden, mit diesen Reaktionen zu umgehen oder sie zu überbrücken – doch lösen kann er das zugrunde liegende Problem nicht, denn das liegt in der Regel in der individuellen Mensch-Pferd-Kombination des Besitzers.


Ein sogenanntes „Problempferd“ hat meist ein Kommunikationsproblem mit seinem Menschen – kein technisches Defizit. Wird dieses Pferd dann professionell geritten, ändert sich eventuell das Verhalten im Beritt , aber sobald es wieder zuhause ist, wird das Verhalten wieder auftreten. Denn die Ursache besteht ja nach wie vor fort.


Gemeinsam wachsen – ein besserer Weg


Deutlich nachhaltiger ist es daher, sich gemeinsam mit dem Pferd entwickeln zu lassen. Durch kontinuierliches Training mit einem kompetenten, geduldigen und pferdegerechten Trainer. Dieser begleitet nicht nur das Pferd, sondern vor allem den Menschen in seiner Entwicklung: in Sitz, Timing, Gefühl, Verständnis.


Dieser Prozess braucht Zeit. Manchmal Jahre. Aber er ist ehrlich, stabil und baut eine echte Partnerschaft auf. Studien aus der Lernpsychologie und der Human-Animal-Bond-Forschung zeigen deutlich, dass gegenseitiges Vertrauen durch gemeinsame Erfahrung entsteht – nicht durch Delegation.


Fazit


Beritt kann in bestimmten Situationen sinnvoll sein – zum Beispiel zur Rehabilitation, zur Unterstützung bei konkreten Ausbildungszielen, beim Anreiten eines Jungpferdes oder zur Überbrückung eines Engpasses. Aber er ersetzt nicht die Arbeit an der Beziehung.

Ein Pferd lernt nicht „reiten lassen“ – es lernt, den Menschen zu lesen und zu vertrauen. Das ist keine Aufgabe für ein paar Wochen – das ist ein gemeinsamer Weg.

Wer sein Pferd wirklich versteht, lässt es nicht für sich arbeiten – sondern wächst mit ihm gemeinsam.

Quellen & Literatur (Auswahl):

  • McGreevy, P., & McLean, A. (2010). Equitation Science

  • Hall, C., & Heleski, C. (2007). The horse–human dyad: The importance of human emotion and intention in horse training.

  • Visser, E. K. et al. (2008). The influence of training and environmental factors on the behavior of young horses.

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