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Passend, nicht perfekt – Was das Exterieur über das passende Pferd verrät

Nicht jedes Pferd passt zu jedem Reiter – und das liegt nicht nur am Charakter, sondern auch an der Anatomie. Das sogenannte Exterieur, also die äußere Form und Körperstruktur des Pferdes, beeinflusst maßgeblich, wie ein Pferd sich bewegen kann, was es leisten kann – und wie leicht oder schwer es dem Reiter macht.


Ein paar Zentimeter mehr oder weniger Hals, ein Rücken etwas länger oder kürzer, mehr Winkelung in der Hinterhand oder weniger – das alles kann entscheidend sein, wenn es um die passende Disziplin, das Trainingsziel oder auch einfach das Wohlfühlgefühl im Sattel geht.


In diesem Artikel beleuchten wir typische Exterieureigenschaften und leiten daraus ab, welches Pferd zu welchem Reitertyp passt – von der ambitionierten Turnierreiterin bis zum gemütlichen Freizeitreiter.


Pferd

1. Halslänge: Kurz, lang oder dazwischen?


  • Kurzer Hals: Ist oft kräftig, aber bewegungstechnisch eher unflexibel. Pferde mit kurzem Hals fallen leicht auf die Vorhand und lassen sich schwerer an den Zügel stellen. Außerdem kann sich ein Pferd mit kurzem, kräftigen Hals viel leichter zur Wehr setzen als eines mit langem, dünnen Hals. Mit Zwang geht bei solchen Pferden also nichts. Das ist auch einer der Gründe, warum Ponys oft als "schwierig" verschrien sind: Sie lassen sich sowieso viel weniger gefallen als Großpferde und haben auch körperlich die Mittel dazu. Hier bekommt der Reiter also eine sehr deutliche Rückmeldung, wenn er zu grob geworden ist.

  • Ein langer Hals beim Pferd kann je nach Gesamtkörperbau und Trainingszustand sowohl Vorteile als auch problembelastete Aspekte mit sich bringen. Hier die wichtigsten möglichen Probleme eines zu langen Halses im Überblick:


    1. Balanceprobleme

    Ein langer Hals wirkt wie ein Hebel. Ist er im Verhältnis zum restlichen Körper zu lang oder zu schwer, verschiebt sich der Körperschwerpunkt nach vorn. Das Pferd gerät leichter auf die Vorhand und hat Schwierigkeiten, sich zu versammeln oder Last aufzunehmen.


    2. Schlechte Aufrichtung und Selbsthaltung

    Ein sehr langer Hals ist für das Pferd schwerer "zu tragen". Viele Pferde mit überlangem Hals neigen dazu, sich nach unten oder vorn herauszustrecken, statt sich aufzurichten und das Genick korrekt zu wölben.


    3. Schlechtere Einwirkung durch den Reiter

    Je länger der Hals, desto weniger direkte Verbindung gibt es zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Bei mangelhafter Ausbildung oder fehlender Rumpfstabilität kann der Hals als „Ausweichstruktur“ genutzt werden – das Pferd biegt sich im Hals, aber nicht im Körper = Scheinstellung oder falsche Biegung. Das Pferd ist schwer, stabil zu bekommen.


    4. Erschwerte Versammlung

    Für echte Versammlung muss das Pferd den Hals verkürzen und anheben. Ein sehr langer Hals ist dafür strukturell im Nachteil. Viele dieser Pferde tun sich schwer, das Gewicht auf die Hinterhand zu bringen – sie bleiben "lang" im Körper.


    5. Überlastung bei mangelnder Bemuskelung

    Ein langer Hals erfordert gut entwickelte Halshalsmuskeln und eine stabile Oberlinie. Ohne gezieltes Training kann es zu:

    • Verspannungen im Unterhals,

    • Problemen im Widerristbereich,

    • instabiler Oberlinie kommen.


    6. Gefahr von "Giraffenhaltung"

    Besonders bei sensiblen oder schlecht gymnastizierten Pferden zeigt sich mit langem Hals schnell die sogenannte Giraffenhaltung: hoher Kopf, hohles Genick, durchgedrückter Rücken – ein Zeichen von Unausbalanciertheit und fehlender Durchlässigkeit.


Für Anfänger und Freizeitreiter ist ein gut mittellanger, gut angesetzter Hals ideal – zu kurz macht es schwer, zu lang erfordert oft mehr Balance vom Reiter.


2. Rückenlänge und -beschaffenheit: Weich oder straff?


  • Langer Rücken: Gut für bequemes Sitzen, aber nicht immer kraftvoll. Pferde mit langem Rücken brauchen viel Zeit zur Bemuskelung und neigen zu Durchhängern.

  • Kurzer Rücken: Oft kompakt und tragfähig, aber schwieriger zu sitzen – vor allem bei viel Schub aus der Hinterhand.

  • Weicher Rücken: Meist angenehm im Sitz, aber gefährdet für Probleme bei schlechter Bemuskelung.

  • Straffer Rücken: Stabil und tragfähig, aber für den Reiter manchmal ruppig zu sitzen.


  • Warum ist ein kurzer Rücken im Westernreiten von Vorteil?


    Westernpferde müssen oft:

    • schnell wenden (Spins, Rollbacks),

    • sich tief setzen (Sliding Stops),

    • sich tragen und versammeln über längere Distanzen (z. B. im Western Pleasure oder Ranch Riding),

    • präzise, reaktionsschnell auf Schenkel- und Gewichtshilfen reagieren.

    Ein kurzer Rücken unterstützt diese Anforderungen, weil er:

    • kompakter und wendiger ist,

    • eine bessere Lastaufnahme durch die Hinterhand erlaubt,

    • dem Pferd das Setzen unter den Schwerpunkt erleichtert,

    • oft zu einer stabileren Oberlinie führt.


Einsteiger und Geländereiter sollten auf gut bemuskelte, nicht zu kurze Rücken achten. Dressurambitionierte Reiter profitieren von einem eher kurzen, aber tragfähigen Rücken, ebenso die Westernreiter.

3. Gliedmaßen: Lang oder kurz, steil oder gewinkelt?


  • Lange Beine: Wirken oft elegant, aber erhöhen auch die Hebelverhältnisse – nicht jedes lange Pferdebein ist kraftvoll.

  • Kurze Beine: Kraftvoll und kompakt, oft gut für Wendigkeit.

  • Starke Winkelung der Hinterhand: Gut für Versammlung und Schub – aber bei zu starker Winkelung Gefahr von Überlastung.

  • Steile Hinterhand: Weniger Lastaufnahme, weniger Versammlungsfähigkeit.


➡ Für Dressur braucht es eine kräftige, gut gewinkelte Hinterhand. Für Reining oder Cowhorse eher ein niedrig gebautes, wendiges Pferd mit starker Hinterhand. Freizeitpferde profitieren von stabilen, kräftigen Gliedmaßen ohne extreme Winkelungen.


Achtung: Auch wenn grazile Beine sehr elegant aussehen: Zum Reiten eignen sie sich nicht.


4. Fundament: Über viel oder wenig Boden stehend


  • Über viel Boden stehend: Lange Beine, hoher Widerrist, oft großrahmig. Viel Bewegung, aber auch mehr Reiterbedarf.

  • Über wenig Boden stehend: Kompakter, näher am Boden. Wendiger, aber manchmal mit kürzeren Schrittlängen.


Kleine Reiter oder Kinder sollten auf „bodennahe“ Pferde achten, ebenso Reiter mit weniger Erfahrung. Sportreiter mit Ambitionen dürfen größer denken – im wahrsten Sinne.


5. Kopf und Ganaschenfreiheit


  • Große Ganaschenfreiheit: Erlaubt bessere Stellung im Genick und mehr Durchlässigkeit.

  • Wenig Ganaschenfreiheit: Kann Stellung erschweren – hier braucht es viel reiterliches Feingefühl.


➡ Für Reiter mit Ausbildungsschwerpunkt (z. B. Dressur) ist eine freie Ganasche wichtig. Im Freizeitbereich darf sie auch mal weniger ausgeprägt sein – sofern das Pferd locker bleibt.


6. Kruppenform: Gerade oder steil


  • Gerade Kruppe: Mehr Raumgriff und Schub – gut für Galopp und Schnelligkeit

  • Steile Kruppe: Weniger Galoppade, aber besser für Stopps und schnelle Wendungen.


Spring- oder Dressurpferde profitieren von einer mittleren, muskulösen Kruppe. Für

Westernprüfungen wie Reining sind eher steile, tiefer angesetzte Kruppen vorteilhaft – optimal für Stops und Spins.


7. Körperformat: Quadrat, Rechteck oder Hochrechteck


Ein oft übersehener, aber zentraler Aspekt des Exterieurs ist das Körperformat des Pferdes – also das Verhältnis von Rumpflänge zu Widerristhöhe. Es beeinflusst unter anderem:

  • Beweglichkeit und Wendigkeit

  • Versammlungsfähigkeit

  • Rittigkeit und Sitzkomfort

  • Eignung für bestimmte Reitweisen


Quadratpferd (Rumpflänge ≈ Widerristhöhe)

  • Kompakt, kurz gebaut, wendig

  • Günstig für Versammlung und Tragkraft

  • Gute Balance bei kurzen Hebelverhältnissen

  • Erleichtert feine Hilfengebung

Ideal für: Dressur (v. a. klassische und barocke Reitweise), Working Equitation, Reining, wendige Freizeitarbeit


Rechteckpferd (Rumpflänge > Widerristhöhe)

  • Länger gebaut, bietet mehr Raumgriff

  • Bequemer zu sitzen, aber weniger wendig

  • Benötigt mehr Krafttraining zur Versammlung

  • Neigt eher zum Durchhängen bei schwacher Muskulatur

Ideal für: Gelände, Freizeit, Springen, lange Strecken, oft im Warmbluttyp zu finden


Hochrechteckpferd (kurzer Rücken bei hoher Widerristhöhe)

  • Selten, wirkt optisch „hoch auf den Beinen“

  • Kann kippelig wirken, wenn die Masse nicht harmonisch verteilt ist

  • Oft bei sehr großrahmigen Warmblütern


Geeignet für: erfahrene Reiter mit gutem Gleichgewichtssinn und Gefühl, da diese Pferde mehr Balancearbeit vom Reiter fordern


Wenn du dir also ein neues Pferd suchst: Denk nicht nur an die Rasse oder Farbe – schau dir das Fundament, die Proportionen und das Format an. Dein zukünftiger Reitpartner wird es dir danken.


Welcher Reiter braucht welches Pferd?


Freizeitreiter (z. B. Gelände, kleine Platzarbeit)

  • Gut sitzbarer, nicht zu langer Rücken

  • Stabiles Fundament, wenig extreme Winkelungen

  • Ruhiges Temperament, klarer Takt


🚫 Keine übermäßige Aufrichtung oder Sportlichkeit – das macht die Arbeit nur unnötig schwer


Empfehlung: Robuste Typen wie Haflinger, Norweger, Mixe, Ranchpferde – alles, was angenehm zu sitzen ist und keine sportliche Höchstleistung verlangt.


Dressurreiter mit Turnierambitionen

  • Gute Ganaschenfreiheit, tragfähige Hinterhand

  • Aufgerichtete Haltung, mittellanger Rücken

  • Starker Rücken, gute Schulterfreiheit


🚫 Steile Kruppe oder wenig Schub aus der Hinterhand


Empfehlung: Warmblüter mit gutem Rechteckformat, klare Bewegungsqualität – Trakehner, Hannoveraner, Oldenburger etc.


Westernreiter (Reining, Cowhorse)

  • Kurzer Rücken, tiefer Körperschwerpunkt

  • Kräftige, stark gewinkelte Hinterhand

  • Steile Kruppe für Stopps


🚫 Zu hohe Aufrichtung oder zu lange Beine


Empfehlung: Quarter Horses, Paints, Appaloosas mit klarer Reining-Zuchtlinie


Kinder und Reitanfänger

  • Kleineres, kompakteres Pferd oder Pony

  • Gutmütiger Charakter, eher flache, schwunglose Gänge

  • Gut sitzbarer, nicht zu schwungvoller Rücken


Empfehlung: Fjordpferde, Welsh Cobs, gut ausgebildete Schulpferde, verlässliche Ponys


Fazit: Exterieur als Entscheidungshilfe


Die äußere Form eines Pferdes ist kein Schönheitsmerkmal, sondern eine Gebrauchsanweisung. Wer weiß, worauf er achten muss, erspart sich (und dem Pferd!) viele Missverständnisse und Frust im Training.


Natürlich: Kein Pferd ist perfekt – aber das passende Pferd für dich gibt es. Du musst

nur wissen, was du wirklich brauchst.



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