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Die H.Dv. 12 - Reitenlernen früher und heute

Früher war Reiten kein Freizeitvergnügen – es war eine militärische Notwendigkeit. In der Zeit der Heeresdienstvorschrift 12 (H.Dv. 12), die lange Jahre in Deutschland die Grundlage für die Kavallerieausbildung bildete, war Reiten eine Disziplin, die unter strengen, militärischen Gesichtspunkten vermittelt wurde. Nur ausgewählte, körperlich fitte junge Männer wurden ausgebildet – nicht etwa, um ein schönes Hobby zu pflegen, sondern um als berittene Soldaten in den Krieg zu ziehen.


Berittener Soldat

Reiten nach H.Dv. 12 – Ausbildung für den Kriegsdienst


Die H.Dv. 12 war mehr als nur eine Reitanleitung – sie war ein umfassendes Handbuch für das systematische Ausbilden von Pferd und Reiter für den militärischen Einsatz. Die Männer, die damals reiten lernten, waren durchtrainiert, gehorsam, oft noch sehr jung und Teil einer streng hierarchischen Struktur. Reiten war kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.


Die Ausbildung war hart, methodisch klar gegliedert und kompromisslos auf Funktionalität und Disziplin ausgelegt. Ziel war es, den Reiter so zu formen, dass er sein Pferd unter allen Bedingungen – auch im Gefecht – sicher und effektiv einsetzen konnte. Der Sitz musste unabhängig sein, das Pferd gehorsam und leistungsbereit. Fehler wurden nicht „besprochen“, sondern korrigiert – oft mit Nachdruck.


Die Ausbildung begann mit mehr als 100 Longenstunden, in denen die Soldaten ausschließlich an ihrem Sitz arbeiteten – ohne Zügel, ohne Steigbügel. Mehrere Reiteinheiten pro Tag sowie intensive Pferdepflege waren fester Bestandteil des Alltags. Diese umfassende, körperlich fordernde Schulung legte die Grundlage für eine präzise, funktionale Reitweise, in der der Mensch dem Pferd nicht im Weg stehen durfte.


Reiten heute – vom Kriegshandwerk zum Freizeitvergnügen


Heute hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Reiten ist längst keine Männerdomäne mehr, ganz im Gegenteil: Der Großteil der Reitschüler sind mittlerweile Mädchen und Frauen. Statt junger Soldaten mit klaren körperlichen Auswahlkriterien finden sich heute Menschen jeden Alters, Geschlechts und Fitnessniveaus im Sattel wieder.

Die Motivation hat sich ebenso verändert. Heute steht nicht mehr der militärische Nutzen im Vordergrund, sondern die Freude am Pferd, die persönliche Entwicklung, die sportliche Betätigung – und für viele auch die Sehnsucht nach Natur, Freiheit und einer echten Verbindung zum Tier.


Was hat sich verändert – und was nicht?


Das klassische Reiten, auf dem die H.Dv. 12 fußt, hat sich – zumindest in der Theorie – nicht bzw. wenig gewandelt. Denn die Pferde sind immer noch Pferde und diese Reitlehre fußt auf dem Wissen von Jahrhunderten. So sind aus dieser Heeresdienstvorschrift auch die heutigen "Richtlinien für Reiten und Fahren" der FN entstanden.


Doch das Wie des Unterrichtens ist heute (zumindest im Idealfall) deutlich pferde- und menschenfreundlicher. Heute wird nicht mehr befohlen, sondern erklärt. Nicht mehr gedrillt, sondern individuell gefördert. Pädagogik, Biomechanik und ethische Grundsätze haben Einzug in die Reitställe gehalten. Auch die Beziehung zwischen Reiter und Pferd ist in den Fokus gerückt: Vertrauen, Gefühl und Verständnis sind heute zentrale Begriffe in der Ausbildung – Begriffe, die im militärischen Kontext keine Rolle spielten. Dort ging es – zumal Anfang des letzten Jahrhunderts, als die H.Dv.12 entstand – nur um eines: Bedingungslosen sofortigen Gehorsam.


Der sogenannte Kasernenhofton hat sich in der Reiterei noch lange gehalten. Scharfe Kommandos, lauter Ton, wenig Raum für Fragen – all das prägte noch viele Jahrzehnte den Umgang in Reitställen. Erst in den letzten Jahren verschwindet dieser Umgangston mehr und mehr, parallel zu einem wachsenden Bewusstsein für Kommunikation, Empathie und respektvollen Umgang – mit Mensch und Tier.


Was sich jedoch nicht geändert hat, ist das grundlegende Ziel: Ein ausbalancierter Sitz, feine Hilfen, ein durchlässiges Pferd. Die Prinzipien guter Reiterei sind seit Jahrhunderten weltweit gültig. Nur der Weg dorthin hat sich verändert. Er wird heute sehr viel individueller, empathischer und pädagogisch fundierter gestaltet als damals.


Fazit


Vom Pflichtdienst zum Herzenswunsch: Reiten hat in den letzten 100 Jahren einen gewaltigen Wandel durchlaufen. Die H.Dv. 12 steht für eine Zeit, in der Pferde Mittel zum Zweck und ausschlaggebend für das eigene Überleben waren. Heute hingegen sind sie für viele Partner, Lehrer und Freunde.


Der Weg zum guten Reiter ist nach wie vor anspruchsvoll, aber er darf heute mit mehr Empathie, Freude und Wertschätzung begangen werden. Nicht vergessen sollten wir dabei jedoch das große Wissen um das Pferd, das weltweit in Kulturen verankert ist, die auf ihre Pferde angewiesen sind.


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