Trageerschöpfung beim Pferd: Ursachen, Symptome und Lösungsansätze
- sabinelagies
- 21. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Trageerschöpfung ist ein Begriff, der in den letzten Jahren zunehmend Beachtung findet – und das zurecht. Immer mehr Pferde leiden unter den Folgen einer chronischen Überforderung ihres Bewegungsapparates, insbesondere des Rückens.

Doch was genau versteht man unter Trageerschöpfung, woran erkennt man sie und was kann man dagegen tun?
Was ist Trageerschöpfung?
Trageerschöpfung beschreibt einen Zustand, in dem das Pferd nicht mehr in der Lage ist, den Reiter gesund zu tragen, weil seine tragenden Strukturen – insbesondere die Rumpftragemuskulatur – überlastet, unterentwickelt oder gar degeneriert sind. Anders gesagt: Das Pferd bricht unter der Last des Reiters in sich zusammen, körperlich wie auch mental.
Welche Symptome weisen auf eine Trageerschöpfung hin?
Die Symptome sind vielfältig und oft unspezifisch. Sie werden daher häufig missverstanden oder fälschlich als "Ungehorsam" interpretiert. Typische Anzeichen sind:
Absinken des Brustkorbs zwischen den Schulterblättern („hängender Rücken“)
Schwerfällige oder steife Bewegungen, besonders beim Anreiten oder Übergängen
Kopfschlagen (Head Shaking), Zähneknirschen oder Abwehrverhalten beim Satteln
Wegdrücken des Rückens unter dem Reiter
Muskelabbau, vor allem in der oberen Linie (Rücken, Kruppen-, Bauch- und Halsmuskulatur)
Vermehrte Lahmheiten oder Taktfehler ohne klare orthopädische Ursache
tierärztliche Diagnosen wie z.B. Sehnenschäden (Fesselträger), Hufrolle, Kissing, Spines
Verhaltenauffälligkeiten wie Unwilligkeit, Aggression oder plötzliche "Faulheit"
Wichtig: Beim Auftreten dieser Symptome muss unbedingt eine fachliche Abklärung erfolgen. Sie können auch eine andere Ursache haben.
Was sind die Ursachen von Trageerschöpfung?
Trageerschöpfung ist fast immer menschenbedingt. Sie entsteht durch Fehlbelastung, mangelhafte Ausbildung und unpassende Ausrüstung. Häufige Ursachen sind:
1. Fehlende Rumpfstabilität durch falsches Training
Viele Pferde werden geritten, bevor sie ausreichend Muskulatur aufgebaut haben. Ohne gezielte Gymnastizierung und korrekte Ausbildung kann das Pferd den Reiter nicht „tragen“, sondern muss ihn „ertragen“, also weit über seine Belastungsfähigkeit hinaus schleppen.
2. Falsche Reitweise
Wenn das Pferd dauerhaft auf der Vorhand läuft, in rollkurähnlichen Haltungen gearbeitet wird oder ständig hinter der Senkrechten geht, entstehen massive Belastungen auf Rücken und Hals. Auch starres „Zusammenziehen“ ohne korrekten Schwung von hinten kann zu Trageerschöpfung führen. Ein Pferd muss sich während der Arbeit immer wieder strecken können („Zügel aus der Hand kauen lassen“, „Freiheit auf Ehrenwort“). Versammelte Haltungen kann es nur minutenweise einnehmen.
3. Unpassender Sattel
Ein schlecht sitzender Sattel kann die Bewegungsfreiheit einschränken, Druckstellen verursachen und langfristig Schäden an der Rückenmuskulatur hervorrufen. Auch ein zu schwerer oder unausbalancierter Reiter kann zur Ursache werden.
4. Zu wenig Bewegung oder falsche Haltung
Pferde, die stundenlang in der Box stehen oder sich nur einseitig bewegen dürfen, bauen kaum Muskulatur auf. Freie Bewegung an der frischen Luft ist entscheidend für ein gesundes Muskel- und Bindegewebssystem. Herumstehen an der Heuraufe ist übrigens ebenso schädlich wie das Herumstehen in der Box.
Was kann man gegen Trageerschöpfung tun?
Eine Trageerschöpfung ist kein Todesurteil – aber sie erfordert konsequente Maßnahmen, viel Geduld und ein Umdenken im Umgang mit dem Pferd.
1. Pferd aus dem Reitbetrieb nehmen
Zunächst sollte das Pferd nicht mehr geritten werden, um die geschädigten Strukturen zu entlasten. Stattdessen liegt der Fokus auf körperlicher Rehabilitation.
2. Gezielter Muskelaufbau vom Boden aus
Bodenarbeit, Longieren an der Doppellonge, Arbeit am Kappzaum und gymnastizierende Handarbeit helfen dem Pferd, wieder eine tragfähige Oberlinie aufzubauen. Wichtig ist dabei die korrekte Haltung mit aktiver Bauchmuskulatur und gedehntem Hals.
3. Reiten im Gelände
Je nach Grad der Trageschwäche kann es sehr sinnvoll sein, das Pferd eine Weile lang nur im Gelände zu reiten: Im Entlastungssitz und über Bodenunebenheiten, die sich langsam steigern, von einer kurzen Strecke über einen ebenen Feldweg bis hin zu ansprichsvollen Klettereien an Hängen.
4. Professionelle Unterstützung holen
Ein interdisziplinäres Team aus Tierarzt, Physiotherapeut, Sattler und gutem Ausbilder ist oft nötig, um die Ursachen zu erkennen und gezielt anzugehen.
5. Reiterliche Weiterbildung
Viele Reiter sind sich nicht bewusst, wie sehr ihr Sitz, ihre Hilfengebung und ihr Timing die Rückengesundheit des Pferdes beeinflussen. Ein ausbalancierter, unabhängiger Sitz ist essentiell, um das Pferd nicht zusätzlich zu belasten.
6. Sattel und Ausrüstung überprüfen
Ein Sattelcheck ist Pflicht. Der Sattel muss die Schulter freilassen, darf keine Druckspitzen erzeugen und sollte die Bewegung nicht einschränken. Auch Hilfszügel und Gebisse sollten kritisch hinterfragt werden.
Fazit:
Verantwortungsvoll reiten bedeutet, die Tragkraft des Pferdes solide aufzubauen - nicht, sie zu zerstören.
Trageerschöpfung ist ein Endzustand, der erst nach langer Zeit eintritt. Sie zeigt, dass etwas im täglichen Umgang, der Haltung oder der Ausbildung viel zu lange grundlegend falsch gelaufen ist. Die gute Nachricht: Mit dem richtigen Wissen und Geduld ist ein Weg zurück zur Tragkraft möglich. Und mit vorbeugenden Maßnahmen kann man dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt.


