Rittigkeit beginnt im Stall
- sabinelagies
- 2. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Aug.
Viele Reiter bemühen sich um eine gesunderhaltende Ausbildung ihres Pferdes. Sie achten auf passende Ausrüstung, auf den eigenen Sitz, auf gymnastizierendes Training. Doch was oft übersehen wird:
Die Haltung des Pferdes außerhalb des Trainings beeinflusst seine Rittigkeit wesentlich.
Denn ein verspanntes, unterfordertes oder psychisch belastetes Pferd kann nicht losgelassen und motiviert unter dem Sattel laufen – ganz gleich, wie gut geritten wird.

Wofür ist der Pferdekörper gemacht?
Pferde sind von Natur aus "Dauermaschinen" in langsamer Bewegung. Sie fressen etwa 16 Stunden am Tag – in stetigem Schritt, mit gesenktem Kopf. Diese Haltung aktiviert die langen Rückenmuskeln, dehnt Faszien, fördert die Durchblutung und hält Sehnen, Bänder und Gelenke elastisch.
In dieser natürlichen Bewegungsweise entstehen:
ein schwingender Rücken
ein aktives Bauchmuskelkorsett
ein durchbluteter, gespannter, aber nicht verspannter Körper
Schon das langsame Laufen mit gesenktem Kopf ist also ein regelrechtes Fitnessprogramm für den Pferdekörper – und die beste Vorbereitung auf Rittigkeit.
Boxenhaltung: Stillstand und Kopf hoch
In der klassischen Einzelbox ist all das nicht möglich. Die Pferde können sich kaum bewegen, oft gibt es keinen oder zu kurzen Auslauf, das Raufutter liegt nicht am Boden, sondern wird in Heunetzen oder Raufen auf Brusthöhe angeboten.
Die Folge:
Der Kopf bleibt oben – weil nichts auf dem Boden liegt oder weil das Pferd Ausschau halten will/muss
Der Rücken fällt ein – durch das Hochheben des Kopfes ziehen sich die langen Rückenmuskeln zusammen
Der Bewegungsapparat verklebt – Sehnen, Faszien, Gelenke bleiben ungenutzt, werden steif
Ein Beispiel aus der Praxis:
Ein Pferd kommt frisch aus der Box in die Reitbahn. Es lässt sich nicht stellen, der Rücken bleibt fest, der Hals ist kurz. Obwohl die Reiterin sich bemüht, korrekt zu reiten, „kommt der Rücken nicht hoch“. Kein Wunder – der Körper hatte keine Gelegenheit, sich überhaupt vorzubereiten.
Eine Studie der Universität Utrecht (2016) zeigte: Pferde mit freiem Auslauf und Bodennahfütterung hatten signifikant besser entwickelte Rückenmuskeln als Pferde in Boxenhaltung.
Raufen und Paddocks: Bewegung oder nur stehen?
Auch in vielen Paddockhaltungen oder Offenstallgruppen sieht man oft: Pferde stehen stundenlang reglos an der Heuraufe. Das Futter liegt nicht bodennah, der Platz ist begrenzt, es gibt wenig Anreiz zur Bewegung.
Pferde stehen eng, ohne Raumgriff
Der Kopf bleibt auch hier häufig oben, wenn das Futter nicht tief genug liegt
Der Rücken wird ebenso nicht aktiviert wie in der Box
Anschaulich erklärt:
Stell dir vor, du stehst acht Stunden lang still, leicht nach vorne gebeugt, mit angehobenem Kopf. Du wirst am Abend verspannt, unbeweglich, müde. Genau das passiert dem Pferd – täglich.
Stillstand = Stress und Dysbalance
Die fehlende Bewegung führt nicht nur zu körperlicher Einschränkung, sondern auch zu psychischem Stress:
Die Faszien werden nicht durchbewegt
Lymphflüssigkeit staut sich
Der Muskeltonus steigt chronisch
Pferde werden empfindlicher, verspannter, weniger bewegungsfreudig
👉 Verspannungen, die durchs Reiten entstehen, können sich nicht lösen, weil die „aktive Erholung“ durch Bewegung fehlt. Im Gegenteil: Das Pferd nimmt sie mit in den nächsten Tag – und sie potenzieren sich über die Zeit, werden also immer mehr.
Prof. Dr. Konstanze Krüger (Hochschule Nürtingen) wies in mehreren Studien nach, dass Haltungsbedingungen direkten Einfluss auf das Stresslevel, das Lernverhalten und die soziale Stabilität von Pferden haben – und damit unmittelbar auf ihre Leistungsbereitschaft unter dem Reiter.
Gitterboxen: Sichtkontakt ist nicht genug
Gitterboxen mit Sicht auf andere Pferde erscheinen oft als Kompromiss. Aber: Wenn der Futterplatz leer ist, bleibt dem Pferd nichts zu tun – außer zu stehen, zu warten oder auf andere Pferde zu starren. Es gibt keine echte Bewegung, keine Sozialkontakte, keine Aufgaben.
Zudem kann der Individualabstand nicht gewahrt werden:
Pferde erleben sozialen Druck durch Nähe
Es gibt keine Ausweichmöglichkeiten
Das Pferd fühlt sich dauerhaft eingeschränkt, beobachtet, bedrängt
Beispiel:
Ein sensibler Wallach steht in einer Gitterbox zwischen zwei dominanten Nachbarn. Er frisst schnell, ist ständig angespannt, legt sich kaum noch hin. Im Training ist er plötzlich schreckhaft und unkonzentriert – obwohl er „körperlich gesund“ ist.
Schlafmangel = Reitprobleme
Ein unterschätzter Faktor:
Tiefschlaf
Pferde brauchen Sichtkontakt zu Artgenossen, um sich sicher genug zu fühlen, um sich hinzulegen. In vielen Boxen ist das nicht möglich. Wer liegt, sieht niemanden mehr – das erzeugt Unsicherheit.
Die Folge:
Pferde bleiben im Stehschlaf
Der wichtige REM-Schlaf fehlt
Konzentrationsprobleme, Schreckhaftigkeit und Gereiztheit entstehen
Die französische INRA-Studie (2012) belegt, dass Pferde in Gruppenhaltung mit Sicht- und Körperkontakt deutlich mehr REM-Schlafphasen und Liegezeiten zeigen als Pferde in Einzelboxen.
Rittigkeitsprobleme mit Haltungshintergrund
Viele sogenannte „Rittigkeitsprobleme“ haben ihren Ursprung nicht im Training, sondern in der Haltung:
Kein Dehnen in den Zügel
Keine Rückentätigkeit
Blockierte Hinterhand
Zungenfehler, Klemmen, Schweifschlagen
Taktfehler, Hektik, Weglaufen
Der Körper ist schlicht nicht bereit für feine Kommunikation – er ist zu sehr mit innerem Stress, Verspannung oder Bewegungshunger beschäftigt.
Fazit: Die Haltung bestimmt den Trainingserfolg
Ein Pferd kann nur dann wirklich loslassen, mitschwingen und sich unter dem Reiter entfalten, wenn es auch im Alltag in Balance ist – körperlich und psychisch. Die Haltung ist keine Nebensache – sie ist die Grundlage für alles, was wir im Training erreichen wollen.
Wer gesunderhaltend reiten möchte, muss also auch fragen:
Wie lebt mein Pferd?
Wie viel bewegt es sich wirklich?
Wo trägt es den Kopf in der Haltung?
Kann es sich ausruhen?
Hat es soziale Sicherheit?
Haltung ist die halbe Ausbildung
Wer die Rittigkeit seines Pferdes verbessern möchte, sollte nicht nur an Zügeln, Sitz oder Sattel feilen – sondern die Haltungsbedingungen grundlegend hinterfragen. Ein rittiges Pferd ist ein losgelassenes, ausbalanciertes und gesundes Pferd. Und das beginnt im Stall, nicht erst in der Reitbahn.
Quellen & Studien
Krüger, K. et al. (2017): Social environment affects learning in horses. Applied Animal Behaviour Science
INRA Frankreich (2012): Effects of housing conditions on sleep behaviour of horses
Visser, E. et al. (2008): The effect of housing conditions on the behaviour of young horses
University of Utrecht (2016): Muscle development in relation to movement in horses kept in box vs. group housing
Heuschmann, G. (2007): Stimmen der Pferde
Beran, A. (2010): Der Weg zur Harmonie


