Welche Reitweise wofür? – Orientierung im Reitweisen-Dschungel
- sabinelagies
- 18. Juli
- 4 Min. Lesezeit
In der Pferdewelt gibt es unzählige Reitweisen: klassische Dressur, Westernreiten, Working Equitation, akademische Reitkunst, Gangpferdereiten, Springreiten, Natural Horsemanship und viele mehr. Dazu gibt es auch noch die Unterscheidung zwischen Impulsreitweisen und solchen, die auf ständige Hilfen setzen. Für Außenstehende wirkt das oft verwirrend. Aber selbst erfahrene Reiterinnen und Reiter fragen sich manchmal: Welche Reitweise passt eigentlich zu meinem Pferd – und zu mir?
Dieser Artikel gibt Orientierung und beleuchtet, was die verschiedenen Reitweisen unterscheidet, was sie gemeinsam haben – und warum nicht jede Reitweise automatisch für jeden Pferdetyp oder jeden Ausbildungsstand geeignet ist.

Was ist überhaupt eine Reitweise?
Der Begriff „Reitweise“ bezeichnet eine Sammlung von Prinzipien, Techniken und Zielen, die das Reiten in einem bestimmten Stil prägen. Es geht um das „Wie“ des Reitens: Wie wird das Pferd ausgebildet? Wie wird es geritten? Was ist das Ziel der Ausbildung?
Dabei gibt es große Unterschiede – nicht nur in der äußeren Erscheinung, sondern auch in der Philosophie.
Wichtige Unterscheidungsmerkmale zwischen Reitweisen
1. Impulsreitweise oder dauerhafter Hilfengebrauch?
Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal ist die Art und Weise, wie Hilfen gegeben werden. In der klassischen Reitkunst, der akademischen Reitweise oder dem Westernreiten liegt der Fokus meist auf einer Impulsreitweise: Der Reiter gibt eine präzise Hilfe – und wartet auf eine Antwort. Erfolgt diese, ist die Hilfe sofort beendet. Das ist für ein Pferd sehr gut verständlich.
Dem gegenüber stehen Reitstile, in denen Hilfen länger anstehen oder kontinuierlich wiederholt werden – oft aus pragmatischen Gründen, etwa im Springsport oder bei Turnierdressur. Das kann funktionieren, ist aber nicht immer im Sinne einer feinen Kommunikation und für Pferde oft nur schwer oder gar nicht verständlich. Man kann sich das vorstellen wie bei kleinen Kindern: Man bittet sie z.B. den Müll runter zu bringen, sie tun das und trotzdem wiederholt man die Bitte immerfort weiter.
2. Ist die Grunderziehung Teil der Reitweise?
Nicht jede Reitweise beginnt bei Null. Horsemanship-Ansätze, wie sie im Westernreiten, bei Natural Horsemanship oder der akademischen Reitkunst gepflegt werden, beinhalten oft eine fundierte Grunderziehung: Führtraining, Gelassenheit, Respekt, Koordination, Körpersprache.
In der klassischen Reitausbildung wird die Grunderziehung zwar mitgedacht, aber oft in die Hände der Reitschulen oder Ausbilder „davor“ gelegt. Sportorientierte Reitweisen setzen in der Regel ein bereits kooperatives, gerittenes Pferd voraus.
3. Der Blick aufs Pferd: Funktion oder Partner?
Ein weiteres Kriterium: Wird das Pferd als Sportgerät oder als vollwertiger Partner gesehen? Letzteres steht z. B. im Zentrum der akademischen Reitkunst, des Horsemanships oder der klassischen Dressur alter Schule (z. B. nach Egon von Neindorff, Oliveira oder Philippe Karl).
Sportorientierte Systeme – wie Turnierdressur, Springreiten oder Vielseitigkeit – können partnerschaftlich sein, sind es aber nicht automatisch.
Für welchen Pferdetyp eignet sich welche Reitweise?
Zwar lassen sich Pferde aller Rassen grundsätzlich in jeder Reitweise ausbilden – doch manche Stile passen besser zu bestimmten Typen:
Warmblüter und sportliche Pferde: oft im Turniersport, in klassischer Dressur, Springen oder Vielseitigkeit zu finden
Barockpferde (z. B. Lusitanos, Andalusier, Lipizzaner): finden sich häufig in der akademischen Reitkunst oder klassischer Dressur
Westernpferde (z. B. Quarter Horses): optimal angepasst an das Westernreiten, Horsemanship, Ranch Riding
Gangpferde (Islandpferde, Paso Peruanos): profitieren von reitweisenübergreifender Gymnastizierung und sollten nicht nur „töltgerecht“ geritten werden
Robuste Ponyrassen: brauchen eine klare, faire Ausbildung – welche Reitweise ist zweitrangig, wichtiger ist die Methode, also die Klarheit, Fairness, Souveränität.
Wichtiger als die Reitweise ist also die Qualität der Ausbildung, die an das Pferd angepasst sein muss – und nicht umgekehrt.
Was alle Reitweisen gemeinsam haben sollten
Ganz gleich, ob im Westernsattel, in barocker Tracht oder mit englischem Dressursattel: Das Pferd muss den Reiter gesund tragen können.
Das bedeutet:
Tragkraft statt nur Vorwärts
Losgelassenheit, Balance, Geraderichtung
Kommunikation statt Zwang
mentale und körperliche Gymnastizierung
Ausbildung in kleinen, verständlichen Schritten
Jede Reitweise, die diese Grundsätze ignoriert, gefährdet die Gesundheit des Pferdes – körperlich wie psychisch.
Was also muss eine solide Grundausbildung leisten?
Eine gute Grundausbildung schafft die Basis für alles Weitere.
Sie sollte:
das Pferd an den Menschen, Ausrüstung und Umwelt gewöhnen
Vertrauen und Klarheit im Umgang schaffen
das Pferd an Hilfen gewöhnen – erst am Boden, dann im Sattel
Kraft, Balance, Beweglichkeit und Koordination schulen
die Tragfähigkeit und Rittigkeit fördern – ohne psychische Überforderung
dem Pferd das Lernen beibringen: durch Lob, Geduld und Wiederholung
Je nach Reitweise wird das unterschiedlich gewichtet. Doch am wichtigsten ist nicht, in welcher Reitweise das Pferd ausgebildet wird, sondern wie. Reitweise ist Stil – Ausbildung ist Methode.
In welcher Reitweise finde ich die fundierteste Grundausbildung?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten – aber es gibt Reitweisen, die sich besonders durch einen methodischen, ganzheitlichen und pferdegerechten Aufbau auszeichnen:
Akademische Reitkunst: systematisch, kleinschrittig, durchdacht – mit großer Bedeutung des Bodenarbeitsteils
klassische Reitkunst nach alter Schule (z. B. Oliveira, Steinbrecht): langfristig angelegte Gymnastizierung
Horsemanship-Ansätze (nach Parelli, Doma Vaquera, u. a.): Fokus auf Verständigung und Beziehung
Impulse-orientierte Reitweisen (wie etwa Philippe Karls „Schule der Légèreté“): vermitteln feine Hilfengebung und Verantwortung des Pferdes
In allen diesen Systemen steht das Pferd im Mittelpunkt – nicht das sportliche Ergebnis.
Fazit: Die Reitweise ist nicht alles – aber sie formt den Weg
Reitweise ist mehr als nur Stil. Sie beeinflusst die Kommunikation mit dem Pferd, die Ausbildungsschritte, die Ziele – und letztlich auch das Wohlergehen des Pferdes.
Doch statt die „richtige“ Reitweise zu suchen, sollten wir lieber nach einer richtigen Haltung fragen: Nämlich der Haltung, dass das Pferd ein fühlendes Wesen ist, das einen fairen, klaren und gymnastizierenden Reitstil verdient – ganz egal, ob mit Cowboystiefeln oder Dressurfrack.


