Wie kommunizieren Pferde – und was das für uns bedeutet
- sabinelagies
- 27. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Wenn Pferde sprechen könnten, würden sie vermutlich sagen: „Wir tun es längst – nur ihr hört nicht zu.“ Denn Pferde kommunizieren ständig. Nicht über Worte, sondern über feinste Signale: Körpersprache, Mimik, Muskelspannung, Bewegungsmuster. Ihre Art der Kommunikation ist leise, subtil – aber unglaublich effektiv. Und genau darin liegt ein Schlüssel für jedes gute Miteinander zwischen Mensch und Pferd.

Die Sprache der Pferde: Körpersprache statt Lautsprache
Pferde sind Fluchttiere. In freier Wildbahn ist es überlebenswichtig, nicht aufzufallen. Ein lautes Wiehern kann Fressfeinde anlocken – daher ist Lautsprache für Pferde eher die Ausnahme. Sie wiehern, schnauben, quietschen oder brummen durchaus, aber in ihrer natürlichen Kommunikation ist das selten und meist Ausdruck intensiver Emotionen.
Stattdessen verlassen sie sich fast ausschließlich auf nonverbale Signale. Ihre Ohren, Augen, Nüstern, Maulwinkel, Schweifhaltung, Hufstellung und Muskelspannung „sprechen“ in einem ständigen Strom von Informationen. Wer genau hinsieht, kann erkennen, ob ein Pferd entspannt, aufmerksam, misstrauisch oder überfordert ist – lange bevor es tatsächlich reagiert.
Herdenkommunikation: Blitzschnell – aber nicht immer
Pferde sind Herdentiere, und in Gefahrensituationen ist eine schnelle, reibungslose Kommunikation überlebenswichtig. Wenn ein Tier Unruhe zeigt, reicht oft ein gespitztes Ohr oder ein angespannter Rücken, um die ganze Herde in Alarmbereitschaft zu versetzen. In solchen Notfällen funktioniert die Kommunikation innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
In ruhigen, alltäglichen Situationen kommunizieren Pferde deutlich langsamer. Sie geben sich Zeit, lassen kleine Verzögerungen zu, bieten durch Mimik oder leichte Gewichtsverlagerung Dialog an. In der Herde fordert kein Pferd sofortigen „Kadavergehorsam“. Vielmehr lebt die Gruppe vom sozialen Miteinander, von Achtsamkeit, Nähe und gegenseitigem Respekt. Es gibt Rituale, langsame Annäherungen, kleine Fragezeichen und ebenso sanfte Antworten.
Diese „Langsamkeit“ ist essenziell – gerade für den Menschen, der mit Pferden arbeiten will.
Und wir? Können wir mitreden?
Viele Menschen reden viel mit ihren Pferden. Das ist verständlich – Sprache ist unsere wichtigste Kommunikationsform. Aber Pferde verstehen keine Grammatik, keine Worte. Was sie lesen, ist unser Körper. Unsere Atmung, unsere Spannung, unsere Position im Raum. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könne ein Pferd mit Sprache führen – wenn der eigene Körper Unsicherheit oder Widerspruch ausstrahlt.
Stattdessen liegt der Schlüssel in der Klarheit der Körpersprache.
Ein Beispiel:Beim Reiten sind die feinsten Mittel oft die wirkungsvollsten. Ein minimaler Impuls aus dem Becken – ein leichtes Kippen nach vorne oder ein bewusstes Loslassen – reicht aus, um dem Pferd zu sagen: „Geh vorwärts“ oder „Bleib stehen“. Vorausgesetzt, das Pferd wurde entsprechend ausgebildet und der Reiter ist sich seiner Signale bewusst.
Oder am Boden:Allein das Verändern der eigenen Position – ein kleiner Schritt zur Schulter, ein zurückweichender Schritt, eine angespannte oder weiche Körperhaltung – kann für ein aufmerksames Pferd klare Information sein: „Geh zurück“, „Bewege dich zur Seite“, „Bleib stehen“.
Wie genau lesen Pferde den Menschen?
Extrem genau. Pferde sind Meister der feinen Wahrnehmung. Sie „scannen“ ihr Gegenüber auf kleinste Veränderungen – in der Mimik, in der Körperhaltung, in der Atmung. Sie nehmen Unruhe, Unsicherheit, Widersprüchlichkeit oder Zielklarheit oft wahr, bevor wir selbst merken, dass sich in uns etwas verändert hat.
Das bedeutet: Pferde sehen uns nicht so, wie wir tun, sondern wie wir sind.
Emotionskontrolle: Ein Muss in der Kommunikation mit Pferden
Ein aufgewühlter Mensch wirkt auf ein Pferd wie ein Alarmsignal. Nicht, weil das Pferd versteht, warum der Mensch unruhig ist, sondern weil es die Unruhe selbst als Bedrohung wahrnimmt. Wer sich fürchtet, ärgert oder innerlich aufgewühlt ist, kommuniziert das über Körperspannung, Atmung, Fokus – oft völlig unbewusst.
Deshalb ist Emotionskontrolle im Umgang mit Pferden keine Floskel. Es geht nicht darum, Gefühle zu unterdrücken – sondern darum, Verantwortung für die eigene Ausstrahlung zu übernehmen. Innere Klarheit, Ruhe und Authentizität sind keine esoterischen Wünsche, sondern die Grundlage jeder vertrauensvollen Pferd-Mensch-Beziehung.
Fazit: Kommunikation beginnt beim Zuhören
Pferde brauchen keine langen Reden – sie brauchen einen Menschen, der zuhören kann. Einen, der ihre Sprache lernt: leise, körperlich, klar. Einen, der nicht versucht, durch Worte Unsicherheit zu übertönen, sondern präsent ist – mit Fokus, Ruhe und einer klaren inneren Absicht.
Denn Kommunikation mit dem Pferd ist kein Einbahnstraßen-Monolog – sondern ein stiller, feiner Dialog. Einer, der nicht mit Worten beginnt, sondern mit Wahrnehmung.
„Pferde verstehen ist keine Frage der Sprache – sondern der Aufmerksamkeit.“
Pferde kommunizieren über feine Signale (Mimik, Haltung, Bewegung).
In Notfällen reagieren sie blitzschnell, aber unter entspannten Bedingungen kommunizieren sie geduldig und kooperativ.
Sie „lesen“ Menschen sehr genau – nicht durch Worte, sondern über Körpersprache, Mimik, Emotionen und Energie.
Die eigene Körperspannung und emotionale Selbstkontrolle des Menschen sind entscheidend für eine erfolgreiche Kommunikation.
Quellen:
1. Kommunikation in der Herde: Mimik, Körpersprache, soziale Dynamik
➤ Wathan et al. (2016), University of Sussex
Studie: “EquiFACS: The Equine Facial Action Coding System“Ergebnis:Pferde zeigen feine mimische Veränderungen, insbesondere um Augen, Ohren und Nüstern, die von anderen Pferden (und Menschen!) gelesen werden können. Diese Gesichtsausdrücke haben soziale Bedeutung – z.B. bei Futterkonkurrenz oder Kontaktaufnahme.
📌 Belegt: Pferde können mimische Signale gezielt einsetzen und deuten – auch bei Artgenossen.
➤ Krueger et al. (2011)
Studie: “Horses use human local enhancement cues and adjust to human attention“Ergebnis:Pferde orientieren sich stark an der Aufmerksamkeit von Artgenossen – zum Beispiel, ob ein anderes Pferd in eine bestimmte Richtung schaut oder angespannt wirkt. In der Herde können sich solche Signale innerhalb weniger Sekunden verbreiten.
📌 Belegt: In Gefahrensituationen läuft Kommunikation in der Herde extrem schnell, aber im Alltag deutlich langsamer und „fragender“.
2. Kommunikation Mensch–Pferd: Körpersprache & Position
➤ Keeling et al. (2009), Schweden
Studie: „Human body posture influences horses’ approach behavior“Ergebnis:Die Körperhaltung des Menschen beeinflusst das Verhalten des Pferdes direkt. Pferde unterscheiden zwischen zugewandter, dominanter und neutraler Körperhaltung. Sie bevorzugen Menschen mit entspannter, nicht-konfrontativer Ausstrahlung.
📌 Belegt: Pferde reagieren fein auf unsere Körpersprache – nicht auf Worte.
➤ Sankey et al. (2010)
Studie: “Reinforcement as a mediator of the human-horse relationship”Ergebnis:Pferde können sich nicht nur Gesichter und Stimmen von Menschen merken, sondern unterscheiden auch zwischen freundlich-konsistentem und hektisch-wechselseitigem Verhalten. Positive Interaktion stärkt die Kommunikation – unabhängig von der Sprache.
📌 Belegt: Die Qualität der Beziehung wirkt sich auf die Reaktionsbereitschaft aus – Kommunikation wird einfacher mit wachsendem Vertrauen.
3. Pferde „lesen“ den Menschen: Emotionen, Mimik, Absicht
➤ Proops et al. (2018)
Studie: “Horses can remember emotional expressions of humans“Ergebnis:Pferde merken sich nicht nur menschliche Gesichter, sondern auch die Emotion, mit der ein Mensch sie betrachtet hat – selbst Stunden später. Sie reagieren misstrauischer auf Personen, die zuvor wütend geschaut haben.
📌 Belegt: Pferde können die Emotionen von Menschen nicht nur erkennen, sondern behalten sie auch in Erinnerung.
➤ Merkies et al. (2014)
Studie: “Heart rate variability as a measure of emotional state in horses during human interaction“Ergebnis:Pferde passen ihre Herzfrequenzvariabilität (HFV) teils an die des Menschen an – d.h. sie synchronisieren sich physiologisch mit der inneren Anspannung oder Ruhe des Menschen.
📌 Belegt: Pferde „spüren“ die emotionale Verfassung des Menschen auch körperlich.


