Zwischen Leistung und Leid - Wo steht der Turniersport?
- sabinelagies
- 28. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Turniersport ist für viele Pferdemenschen das sichtbare Aushängeschild einer erfolgreichen Partnerschaft zwischen Mensch und Tier. Doch was im Viereck, auf dem Parcours oder in der Reining-Arena glänzt, wirft bei genauerem Hinsehen immer mehr Fragen auf. Die Zahl der Kritiker wächst: Veterinäre, Ethologen und Tierschützer fordern tiefgreifende Reformen – manche sogar das Ende des Reitsports in seiner heutigen Form.

Positives – was der Sport leisten kann
Nicht alles ist schlecht. Richtig praktiziert, bringt der Turniersport durchaus Vorteile:
Gutes Management, strukturierte Ausbildung
Regelmäßige tierärztliche Kontrolle
Motivierte Reiter, die viel Zeit und Wissen investieren
Sportliche Förderung und Auslastung leistungsbereiter Pferde
Öffentlichkeitswirkung – kann auch zur Sensibilisierung für Tierschutz führen
Doch die Realität in vielen Sportställen sieht anders aus – und die Zahlen sprechen eine klare Sprache.
Faktencheck: Was läuft falsch?
Allgemeiner Gesundheitszustand von Sportpferden
80 % der Dressur- und Springpferde zeigen Anzeichen von Rückenschmerzen, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule (Kienapfel et al., 2014, Journal of Animal Physiology and Animal Nutrition).
In einer Untersuchung von Dyhre-Poulsen et al. (2002, Equine Veterinary Journal) zeigten viele Springpferde im Spitzensport chronisch verspannte Rückenmuskulatur mit reduzierter Beweglichkeit.
Laut Lesimple & Hausberger (2014, Applied Animal Behaviour Science) litten mehr als 75 % der Turnierpferde an Verhaltensstörungen, bedingt durch Stress, Unterforderung oder Schmerz.
Frühe Überforderung
Eine Studie von Murray et al. (2006, Equine Veterinary Education) zeigt: frühe Belastung in jungen Jahren erhöht deutlich das Risiko für Arthrosen, insbesondere bei Spring- und Rennpferden.
Start mit 2 Jahren bei Vollblütern steht im direkten Zusammenhang mit Sehnenproblemen und Frühverrentung (Verheyen et al., 2005, Equine Veterinary Journal).
Psychische Belastung und „Learned Helplessness“
Pferde, die dauerhaft unter Zwang geritten werden, zeigen oft Symptome von erlernter Hilflosigkeit, wie apathisches Verhalten, ausdruckslose Augen, fehlende Reaktionen – ein Hinweis auf chronischen Stresszustand (Hall et al., 2014, Animals, MDPI).
Lesimple et al. (2016) fanden, dass Haltungsform und Trainingsstil maßgeblich das Auftreten von Stereotypien (z. B. Koppen, Weben) beeinflussen. Turnierpferde sind besonders häufig betroffen.
Rennsport
Im britischen Galopprennsport sterben jährlich rund 200 Pferde auf der Bahn, viele weitere müssen danach wegen irreparabler Verletzungen eingeschläfert werden (Animal Aid Report, 2022).
Laut einer australischen Studie (Bailey et al., 1999) erleiden 57 % der Vollblüter innerhalb der ersten zwei Jahre Lahmheiten.
Knochenerkrankungen und Lungenblutungen treten bei Rennpferden alarmierend häufig auf – insbesondere infolge intensiven Trainings bei unvollständiger körperlicher Reifung (Young & Rogers, 2005).
Westernreiten
Sliding Stops verursachen eine extreme Belastung der Sprunggelenke: Kraftübertragung bis zum 3,5-Fachen des Körpergewichts (Uhlir et al., 2018, Equine Sports Medicine).
Auch Reiningpferde zeigen hohe Inzidenz von Hufrollenerkrankungen und Überbeinbildung durch wiederholte, abrupte Bewegungen (Dyson et al., 2013).
Gangpferdesport
In Studien zur US-amerikanischen Tennessee Walking Horse-Szene dokumentierten Forscher massive Schmerzen, Lahmheiten und Gewebeveränderungen durch das sogenannte "Soring" – ein bewusstes Schmerzauslösen zur Verstärkung der Bewegung (Bennett, 2008, Journal of Equine Veterinary Science).
In Island zeigte sich, dass unangemessene Hilfen und Beschläge auch bei Islandpferden zu Huf- und Gelenkschäden führen (Kristjansdottir et al., 2011, Livestock Science).
Warum wächst der Druck auf den Turniersport?
Der öffentliche Blick auf das Pferd verändert sich. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, wie sensibel, leidensfähig und intelligent Pferde sind – und wie wenig davon oft im Sportalltag berücksichtigt wird. Die Kluft zwischen Ideal und Realität wird zunehmend unerträglich:
Zucht auf Ästhetik statt Gesundheit
Belastung statt Aufbau
Funktionieren statt Mitdenken
Organisationen wie die World Federation for Animals, PETA, AWF oder auch viele Tierärzteverbände fordern Reformen – oder sprechen sich grundsätzlich gegen Sporteinsätze von Pferden aus, wenn deren Wohl nicht im Mittelpunkt steht.
Was müsste passieren?
Ein zukunftsfähiger Pferdesport kann und muss reformiert werden – oder er wird gesellschaftlich untragbar. Wichtige Maßnahmen wären:
Korrektur der Zuchtziele – funktionale, stabile Pferde statt Showmodelle
Verbot schmerzhafter Praktiken – wie Rollkur, Soring, Tail Blocking, Poling
Transparente Trainingskontrollen – auch hinter den Kulissen
Spätere Ausbildungs- und Startalter – mind. 6 Jahre
Tierwohl-Kriterien in die Notengebung integrieren
Pflicht-Fortbildungen für Reiter, Trainer und Richter in Ethologie und Trainingslehre
Stärkere Sanktionen für Regelverstöße – echte Abschreckung statt Symbolstrafen
Fazit
Der Turniersport steht auf einem wackeligen Fundament: Einerseits bietet er Möglichkeiten für positive Entwicklung, Förderung und sportliche Herausforderung. Andererseits zeigt die Praxis erschreckende Defizite in Bezug auf das Wohlergehen der Pferde – quer durch alle Disziplinen.
Die Zukunft liegt in einem ehrlichen, tiergerechten, transparenten Sport, in dem Leistung aus guter Ausbildung entsteht – und nicht aus Druck, Zwang oder systematischem Verschleiß.
Nur wenn wir Pferde als Partner – nicht als Sportgeräte – sehen, hat der Turniersport eine ethisch vertretbare Zukunft.