Ohne Sitz kein Reiten – aber wie erlernt man den wirklich?
- sabinelagies
- 22. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Warum Kommandos nicht helfen – und wie Bilder den Weg zum guten Sitz ebnen
Wenn erfahrene Ausbilder, Reitmeister oder passionierte Reitlehrer über das Reiten sprechen, sind sie sich in einem Punkt stets einig:
Ohne einen guten Sitz ist gutes Reiten nicht möglich.
Er ist das Fundament, auf dem alle Hilfen aufbauen – die Brücke zwischen Pferd und Reiter, durch die Kommunikation überhaupt erst möglich wird. Doch wie erlangt man diesen scheinbar so schwer greifbaren „guten Sitz“, der in Perfektion so unendlich leicht und selbstverständlich aussieht?

Warum klassische Kommandos oft nicht weiterhelfen
Viele Reitschüler hören im Unterricht immer wieder dieselben Anweisungen: „Absatz tief!“ – „Kopf hoch!“ – „Schultern zurück!“
Gut gemeint, aber oft schlecht umgesetzt. Solche Kommandos führen nämlich in der Regel nicht zu einem besseren Sitz – sondern zu einem verkrampften. Wer versucht, den Absatz gewaltsam tief zu halten, spannt meist Wade und Oberschenkel an, versteift das Bein und blockiert das Becken. Der Oberkörper wird starr, das Reiten grob, das Pferd unzufrieden.
Das Missverständnis bei solchen Kommandos liegt auf der Hand: Sie sind statisch. Ein guter Sitz ist aber nicht starr, sondern lebendig. Er passt sich ständig dynamisch der Bewegung des Pferdes an und hält trotzdem das Gleichgewicht. Kurz: Ein guter Reitersitz sieht nicht nur gut aus – er funktioniert. Und genau das ist das Ziel: Funktionalität vor Optik.
Reiten beginnt im Kopf – mit inneren Bildern
Viel wirksamer als starre Kommandos sind sogenannte innere Bilder – kurze Vorstellungen, die ein Gefühl und in der Folge eine Kaskade von Körperreaktionen auslösen. Sie helfen dem Reiter, die gewünschte Körperhaltung intuitiv zu finden, ohne sich in einzelnen Gelenken und Muskeln zu verlieren.
Beispiel:
Statt „Absatz tief“ heißt es:„Stell dir vor, du reitest durch das seichte Wasser an einem warmen Strand auf den Malediven. Die Sonne scheint, du fühlst dich wohl, und deine Füße streifen spielerisch durch das Wasser.“
Was passiert? Der Reiter lässt los. Das Bein wird lang, weich und schwer. Das Becken beginnt zu schwingen, die Schultern sinken – der Sitz beginnt zu funktionieren. Und genau darum geht es.
Ein guter Sitz ist immer in Bewegung
Was man auf Fotos sieht – ein Reiter scheinbar in perfekter Haltung – ist ein Moment. In der Realität aber bewegt sich das Pferd ständig. Und damit muss auch der Reiter in ständiger Bewegung sein. Ein starrer Sitz mag „schön“ aussehen, doch er stört mehr, als dass er hilft.
Ein guter Sitz ist wie ein fein austarierter Tanz mit dem Pferd: Er reagiert auf kleinste Veränderungen, balanciert sanft nach, bleibt elastisch und lebendig. Und das erfordert Zeit. Einen balancierten, unabhängigen Sitz entwickelt man nicht in wenigen Wochen, sondern über Jahre – manchmal Jahrzehnte.
Die Form folgt der Funktion – Schönheit ist kein Ziel, sondern Ergebnis guter Funktion
Wenn ein Sitz funktional ist – also weich, balanciert, unabhängig und im Einklang mit dem Pferd – dann wird er mit der Zeit ganz von selbst schön. Die klassische Sitzform ist Wert an sich, sondern eine natürliche Folge guter Funktion.
Wer sich zu früh auf das „schön aussehen“ konzentriert, verpasst das Wesentliche: das Spüren, das Zentrieren, das Mitschwingen. Wer dagegen mit Geduld und Körpergefühl arbeitet, wird irgendwann automatisch die äußere Eleganz entwickeln – und das ganz ohne Zwang.
Fazit: Sitzarbeit ist Persönlichkeitsarbeit
Reiten beginnt mit dem Sitz – und dieser beginnt im Inneren. Ein guter Sitz lässt sich nicht durch statische Kommandos erzwingen, sondern nur durch Fühlen, Loslassen und individuelle Bilder entwickeln. Mit diesen Bildern steuert der Reiter seine Körperspannung und diese wiederum steuert das Pferd.
Ein guter Sitz ist kein starres Konstrukt, sondern ein ständiges Austarieren – wie beim Balancieren auf einer Slackline, nur dass die „Slackline“ eigene Bewegungen mitbringt und lebendig ist.
Wer bereit ist, sich auf diesen Weg einzulassen, wird nicht nur besser reiten – sondern sich auch selbst besser kennenlernen.
Denn am Ende ist der Sitz nicht nur die Verbindung zum Pferd – er ist auch der Spiegel unserer eigenen Balance.


