Reitunterricht mit Spaß – Wie wir alte Muster überwinden und moderne Lernfreude fördern
- sabinelagies
- 1. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Reiten ist für viele Menschen ein Lebenstraum. Ob Kind oder Erwachsener – die Vorstellung, mit einem Pferd eins zu werden, durch Wälder zu streifen oder sich elegant im Dressurviereck zu bewegen, weckt Emotionen. Doch allzu oft wird dieser Traum jäh gebremst – durch Unterricht, der eher an Kommandoton und Leistungsdruck erinnert als an partnerschaftliches Lernen mit Pferd und Mensch.

Der Grund dafür liegt in der Geschichte: Große Teile unseres heutigen Reitunterrichts fußen noch immer auf den Prinzipien der Heeresdienstvorschrift 12 (H.Dv. 12), einer Reitvorschrift des deutschen Militärs aus dem Jahr 1912. Was damals zweckmäßig war – nämlich die schnelle, effiziente Ausbildung von Soldaten zu Pferd – wirkt heute wie ein Anachronismus.
Alte Schule: Befehl, Gehorsam, Funktionieren
Die H.Dv. 12 legte Wert auf Gehorsam, Disziplin und Effizienz. Der Reitschüler hatte zu funktionieren. Emotionale Bedürfnisse spielten keine Rolle. Die Ausbildung war klar hierarchisch aufgebaut, der Ton streng, Fehler wurden nicht als Lernchance, sondern als Versagen gesehen – sowohl beim Pferd als auch beim Reiter.
Diese Haltung hat sich tief in die Reitkultur eingeprägt. Noch heute hört man in manchen Reitstunden Sätze wie: „Du musst dich jetzt durchsetzen!“, „Das Pferd verarscht dich!“ oder „Nicht so viel denken, einfach machen!“ – Aussagen, die wenig mit moderner Pädagogik, Psychologie oder Pferdeethologie zu tun haben.
Die Realität: Viele hören schnell wieder auf
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Laut einer Studie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB, 2020) verlieren über 40 % der Reitanfänger innerhalb des ersten Jahres das Interesse. Der Hauptgrund: fehlender Spaß, mangelnde Motivation und ein Unterrichtsstil, der sie eher entmutigt als stärkt.
Auch bei Kindern zeigt sich, dass Freude am Tun der Schlüssel zum langfristigen Dranbleiben ist. Eine Studie der Universität Leipzig (Kanning & Müller, 2019) zeigt, dass Kinder am meisten lernen, wenn sie sich sicher, wertgeschätzt und verstanden fühlen – und wenn sie aktiv mitgestalten dürfen.
Was moderner Reitunterricht leisten muss
Reiten ist komplex. Es erfordert Körpergefühl, Koordination, Timing – und Empathie. Wer unterrichtet, trägt daher eine große Verantwortung, nicht nur dem Pferd gegenüber, sondern auch dem Menschen.
Moderne Didaktik und Lernpsychologie fordern längst andere Herangehensweisen. Diese Grundsätze sind entscheidend:
1. Freude als Lernmotor
Freude aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Sie fördert Neuroplastizität – also die Fähigkeit, neue Bewegungs- und Denkweisen zu erlernen (vgl. Hüther, 2021). Wer Spaß hat, lernt nachhaltiger.
2. Fehlerfreundlichkeit
Fehler sind kein Scheitern, sondern Hinweise darauf, wo Lernen möglich ist. Ein moderner Unterricht schafft einen Raum, in dem ausprobiert, gefragt und experimentiert werden darf – ohne Angst vor Bewertung.
3. Individuelle Ansprache statt Kommandoton
Jeder Mensch lernt anders. Didaktisch fundierter Reitunterricht berücksichtigt verschiedene Lerntypen (auditiv, visuell, kinästhetisch) und geht auf Bedürfnisse, Ängste und Stärken ein.
4. Selbstwirksamkeit statt Gehorsam
Lernen ist besonders wirksam, wenn Menschen erleben, dass ihr Handeln Wirkung zeigt. Reitschüler brauchen Aufgaben, die lösbar sind, Erfolge, die sie selbst erreichen, nicht „erzwingen“.
5. Beziehung statt Dominanz
Reiten ist Beziehung – zum Pferd und zum Unterrichtenden. Moderne Lehrer*innen agieren als Begleiter, nicht als Befehlshaber. Wertschätzung, Geduld und echtes Interesse am Lernenden stehen im Zentrum.
Warum Abteilungsreiten oft kontraproduktiv ist
In vielen klassischen Reitschulen ist das Reiten in der Abteilung noch immer Standard – auch bei Anfängern. Diese Unterrichtsform stammt direkt aus der militärischen Ausbildung: Mehrere Reiter reiten hintereinander auf einer Linie, alle führen gleichzeitig dieselben Lektionen aus. Ziel hierbei war, die Soldaten in einer Einheit geordnet, schnell und effizient von A nach B verlegen zu können. Im Verband lernen Pferde schnell, den anderen hinterherzulaufen. Der Reiter muss sich nur irgendwie oben halten.
Was auf den ersten Blick geordnet und praktisch wirkt, ist aus lernpsychologischer Sicht problematisch.
1. Kaum Raum für Individualität:
Jeder Reiterin bringt unterschiedliche körperliche Voraussetzungen, Erfahrungen und Lernbedürfnisse mit. In der Abteilung ist es jedoch kaum möglich, individuell auf Sitzfehler, Fragen oder Unsicherheiten einzugehen. Der Fokus liegt auf Gleichschritt, nicht auf Entwicklung.
2. Lernstress statt Lernfreude:
Gerade Anfänger erleben in der Abteilung häufig Stress, weil sie das Tempo der anderen halten müssen, sich beobachtet oder überfordert fühlen. Wer noch mit Balance oder Zügelgefühl kämpft, hat keine Kapazität, auch noch auf die Reihenfolge, Abstände und Kommandos zu achten. Der Spaß bleibt schnell auf der Strecke.
3. Kein echtes Dialogreiten:
Guter Reitunterricht braucht Raum für Interaktion zwischen Reiter und Pferd. In der Abteilung wird oft mechanisch geritten: Eine Volte, weil alle eine machen. Eine Gangart, weil sie angesagt wird. Das Pferd wird "mitgezogen" oder muss abbremsen – das eigene Timing, die Kommunikation mit dem Pferd gehen verloren.
4. Gruppenstruktur statt Beziehungsarbeit:
Viele Pferde reagieren in der Abteilung eher auf das Leittier vorn oder die Herdenbewegung als auf ihren Reiter. Das behindert die Entwicklung einer echten, feinfühligen Verbindung zwischen Mensch und Pferd – dem eigentlichen Ziel des Unterrichts.
Fazit:
Das Reiten in der Abteilung mag logistisch einfach sein, fördert aber weder Freude noch nachhaltiges Lernen. Vor allem Anfänger profitieren viel mehr von Einzelunterricht oder Kleingruppen mit individuellen Aufgaben, bei denen sie sich in ihrem Tempo entwickeln, ausprobieren und erleben dürfen – ohne den Druck, im Gleichschritt „funktionieren“ zu müssen.
Beispiele aus der Praxis
In Reitpädagogik-Ausbildungen und modernen Reitschulkonzepten wird zunehmend auf Methoden gesetzt, die die Freude in den Mittelpunkt stellen:
Zielorientiertes Arbeiten in kleinen Schritten (nach SMART-Kriterien)
Einbindung spielerischer Elemente, besonders bei Kindern (z. B. Ponyspiele, Bewegungsspiele ohne Sattel)
Reflexionsphasen, in denen Schüler*innen ihr Körpergefühl, ihre Ängste oder Fortschritte verbal teilen
Selbstbeobachtung durch Videoanalysen oder Sitzschulungen mit Franklin-Bällen
Teamübungen zur Förderung von sozialem Lernen
Diese Methoden fördern nicht nur die Reitkompetenz, sondern auch Selbstvertrauen und Motivation.
Fazit: Der Spaß ist kein „nice to have“, sondern essenziell
Reitunterricht darf keine Replik militärischer Ausbildungsstrukturen sein. Wer Reiten lehrt, ist nicht Befehlshaber, sondern Lernbegleiter. Nur wenn Schüler*innen sich wohlfühlen, lernen sie langfristig und nachhaltig. Und nur so kann aus einer Reitstunde das werden, was sie sein sollte: eine Zeit, in der Lernen, Verbindung und Freude Hand in Hand gehen – für Mensch und Pferd.
Literatur & Studien:
Hüther, G. (2021): Wie Lernen gelingt. Vandenhoeck & Ruprecht.
Kanning, U. P. & Müller, M. (2019): Motivation im Sportunterricht. Universität Leipzig.
Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB): Sportentwicklungsbericht 2020.
H.Dv.12: Heeresdienstvorschrift für die Reiterei und den Reitunterricht, 1912.
Wehner, B. (2018): Reitunterricht heute – vom Befehl zur Begleitung. FNverlag.


