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Trainingsphysiologie beim Pferd: Warum gutes Training Zeit braucht

Wer mit seinem Pferd regelmäßig arbeitet, wünscht sich Fortschritte: mehr Ausdauer, stärkere Muskeln, vielleicht sogar sportliche Erfolge. Doch Training ist nicht gleich Training – und ein Blick in die Trainingsphysiologie zeigt, warum systematischer Aufbau und Geduld entscheidend sind. Denn Herz, Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen passen sich in ganz unterschiedlichem Tempo an – und genau darin liegt eine der größten Gefahren für Pferde im Training.


Pferd in Belastungssituation

Unterschiedliche Systeme – unterschiedliche Anpassungszeiten


Die verschiedenen Strukturen im Pferdekörper reagieren sehr individuell auf Trainingsreize. Während manche Bereiche recht schnell leistungsfähiger werden, brauchen andere Monate oder gar Jahre.


Herz-Kreislauf-System – schnell angepasst

Das Herz-Kreislauf-System reagiert am schnellsten auf Training. Bereits nach 2–3 Wochen kontinuierlicher, moderater Belastung verbessert sich die Sauerstoffaufnahme, die Herzfrequenz sinkt bei gleicher Leistung, und die Erholungszeiten werden kürzer. Die Ausdauerleistung steigt also schnell – ein trügerischer Fortschritt.


Muskulatur – mittel- bis langfristige Anpassung

Muskelzuwachs und Kraftentwicklung benötigen deutlich mehr Zeit. Zwar können erste koordinative Verbesserungen ebenfalls nach wenigen Wochen auftreten, echte Hypertrophie (Muskelwachstum) beginnt jedoch meist erst nach etwa 6–8 Wochen. Die vollständige Anpassung dauert je nach Trainingsintensität und -frequenz mehrere Monate.


Sehnen und Bänder – langsame Reaktion

Sehnen und Bänder sind besonders verletzungsanfällig, weil sie sehr langsam auf Belastung reagieren. Anpassungsprozesse in diesen Strukturen beginnen erst nach etwa 3 bis 6 Monaten regelmäßiger, angepasster Belastung. Zu hohe Kräfte ohne ausreichende muskuläre Abfederung führen hier schnell zu Überlastung, Reizungen oder sogar Rissen.


Knochen – langsame, aber stabile Anpassung

Auch das Skelettsystem reagiert vergleichsweise langsam. Knochen werden durch wiederholte, angemessene Belastung dichter und stabiler, aber dieser Prozess kann je nach Intensität 6 bis 12 Monate oder länger dauern. Zu schnelle Belastungssteigerungen, besonders auf hartem Boden oder in Wendungen, können langfristig zu Schäden wie Arthrosen führen.


Das Risiko der „Fit-Illusion“


Eines der größten Risiken im Pferdetraining entsteht, wenn das Herz-Kreislauf-System bereits fit ist, aber Muskeln, Sehnen und Knochen noch nicht nachgezogen haben. Das Pferd wirkt leistungsbereit, voller Energie und ausdauernd – aber die Strukturen, die den Bewegungsapparat schützen, sind noch nicht stark genug.


Die Folge:

  • Überlastungsschäden an Sehnen und Bändern

  • Muskelverspannungen und -verletzungen durch unzureichende Kraftentwicklung

  • Frühzeitige Gelenkprobleme durch mangelnde muskuläre Stoßdämpfung

  • Fehlbelastungen, die zu Kompensationen im Bewegungsmuster führen


Warum Regeneration genauso wichtig ist wie Training


Training bedeutet für den Körper das Setzen eines gezielten Reizes und damit einhergehend Belastung. Der eigentliche Leistungszuwachs entsteht nicht während, sondern nach dem Training: in der Regenerationsphase. Nur in diesen Ruhezeiten kann der Körper neue Strukturen aufbauen.


Fehlen diese Pausen, reagiert der Körper nicht mit Anpassung, sondern mit Stress, Abbauprozessen und Verletzungen. Regeneration bedeutet dabei nicht unbedingt „Nichtstun“, sondern kann aktive Erholung (z. B. lockeres Longieren oder Spazierengehen) umfassen.


So sieht ein gesundheitsförderndes Training aus


Ein sinnvolles Training ist kein Wettlauf, sondern ein langfristiger Aufbauprozess. Es sollte:

  • regelmäßig sein (2–4 Einheiten pro Woche)

  • abwechslungsreich gestaltet werden (Reiten, Bodenarbeit, Gelände, Longieren)

  • langsam gesteigert werden – besonders bei jungen oder untrainierten Pferden

  • genügend Regenerationstage einplanen (mind. 1–2 Tage pro Woche)


Beispiel für einen Wochenplan bei einem Freizeitpferd im Aufbau:

  • Mo: ruhiger Ausritt (Schritt, etwas Trab)

  • Di: Ruhetag

  • Mi: gymnastizierende Bodenarbeit

  • Do: Longieren mit Stangenarbeit

  • Fr: Ruhetag

  • Sa: Reiteinheit mit gezielter Gymnastizierung

  • So: freier Weidegang oder lockeres Geländetraining


Fazit: Geduld schützt Pferde


Trainingsphysiologie bedeutet: den Pferdekörper zu verstehen – und zu respektieren. Wer zu früh zu viel will, riskiert gesundheitliche Schäden, die langfristig den Spaß und die Bewegungsfreude des Pferdes kosten können. Wer trainiert mit Köpfchen, Geduld und Gefühl, sorgt für ein gesundes, leistungsfähiges und motiviertes Pferd – das uns gerne und lange begleitet.


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