Warum Reitanfänger besser mit dem leichten Sitz starten sollten
- sabinelagies
- 29. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Okt.
Der erste Sitz entscheidet über alles
Wie ein Reitanfänger sitzt, beeinflusst nicht nur seine persönliche Entwicklung, sondern auch direkt das Wohlbefinden und die Ausbildung des Pferdes. In vielen Reitschulen wird klassischerweise gleich der Dressursitz gelehrt – aufrecht, mit durchgestrecktem Oberkörper, tiefem Absatz, langen Beinen und ruhigen Händen. Was dabei oft vergessen wird: Der Dressursitz setzt eine hohe Körperbeherrschung, Koordination und Rumpfstabilität voraus, die Einsteiger schlichtweg noch nicht mitbringen.
Die Folge: Der Reitanfänger stört das Pferd, entwickelt sich selbst unsauber, verkrampft – und der Sitz bleibt langfristig instabil. Eine deutlich pferde- und menschengerechtere Alternative ist der leichte Sitz, wie er ursprünglich im Gelände- und Springsport eingesetzt wird.

Was ist der leichte Sitz?
Der leichte Sitz (auch Entlastungssitz, Vorwärts-abwärts-Sitz oder Zweipunkt-Sitz) beschreibt eine Haltung, bei der der Reiter leicht aus dem Sattel geht, das Gesäß nicht im Schwerpunkt des Pferdes lastet, das Becken leicht nach hinten gekippt ist und der Oberkörper nach vorne geht – die Belastung verlagert sich in die Steigbügel und auf die Oberschenkel. Die Zügelverbindung ist weich und federnd, das Pferd wird nicht durch das Reitergewicht auf dem Rücken gestört.
Er wird in folgenden Situationen eingesetzt:
Beim Anreiten junger Pferde
Beim Galoppieren im Gelände
Beim Springen
Beim gymnastizierenden Reiten zum Entlasten des Rückens
Und: Ideal beim Reitanfängertraining.
Warum ist der Dressursitz für Einsteiger problematisch?
Der Dressursitz ist biomechanisch hochanfordernd. Er verlangt:
eine unabhängige Balance in Becken, Rumpf und Schultern
weiche und koordinierte Bewegungen im Becken
Stabilität im unteren Rücken
eine ruhige, elastische Verbindung zum Pferdemaul (die nur gelingt, wenn der Sitz bereits absolut ausbalanciert ist)
Bewegungsgefühl – also das „Mitgehen“ mit der Schwingung des Pferderückens
Fehlen diese Fähigkeiten (was bei Einsteigern normal ist), passiert folgendes:
Harte, unruhige Hände
Verkrampfung in Schultern und Rücken
Störungen im Takt und in der Losgelassenheit des Pferdes
Schmerzen beim Pferd durch unkontrolliertes Herumrutschen im Sattel
Sitzfehler wie Hohlkreuz, festes Becken oder klammernde Knie
Was Studien sagen
Münz et al. (2014) untersuchten die Auswirkungen verschiedener Reitsitze auf das Pferd. Ergebnis: Ein instabiler Sitz (wie er bei Einsteigern häufig vorkommt) verändert die Rückenbewegung des Pferdes signifikant negativ und führt schnell zu Verspannungen.
Peham et al. (2001) analysierten mittels Kraftmessplatten die Druckverteilung im Sattel. Sie zeigten, dass unerfahrene Reiter die Druckverhältnisse im Sattel ungleichmäßig und unharmonisch beeinflussen – insbesondere im Dressursitz.
Clayton (1997) stellte fest, dass die Reiterbalance im leichten Sitz weniger negativ auf die Rückenmechanik des Pferdes wirkt als beim Dressursitz. Der leichte Sitz sei gerade für Pferde mit schwacher Rückenmuskulatur oder junge Pferde zu bevorzugen – eine Parallele, die auch auf Reitanfänger zutrifft.
Vorteile des leichten Sitzes für Einsteiger
Weniger Einfluss – weniger Fehler: Der Reiter lernt zunächst, nicht zu stören. Er hält das Gleichgewicht über die Beine und nicht über die Hände, die sich an die Zügel klammern.
Entlastung für das Pferd: Kein „Hinplumpsen“, keine unangenehme Last auf dem Rücken – gerade Schulpferde profitieren davon.
Bessere Balanceentwicklung: Der Reiter lernt aus der Körpermitte zu balancieren, anstatt sich am Zügel festzuhalten.
Natürliche Haltung: Der leichte Sitz entspricht eher der menschlichen Alltagsmotorik als der dressurmäßige Sitz – der Einstieg fällt leichter.
Schrittweise Annäherung an den Dressursitz: Aus dem leichten Sitz können später differenzierte Gewichtshilfen aufgebaut werden – sobald der Reiter dazu körperlich und koordinativ bereit ist.
Und die Praxis? Was das für den Reitunterricht bedeutet
Einsteiger sollten zuerst lernen, im leichten Sitz zu stehen, mitzugehen, zu balancieren – am besten im Schritt und Trab.
Stärkung der Rumpfmuskulatur und Schulung der Unabhängigkeit von Armen und Beinen
Erst wenn der Reiter wirklich in sich stabil ist, kann ein funktionaler Dressursitz sinnvoll aufgebaut werden.
Auch fortgeschrittene Reiter sollten regelmäßig in den leichten Sitz wechseln – zur Rückenschonung des Pferdes und zur Sitzschulung.
Warum es keine gute Idee ist, auf einem verspannten Pferd reiten zu lernen
Ein oft übersehener Punkt im Reitanfängerunterricht ist der Zustand des Schulpferdes selbst. Viele dieser Pferde sind körperlich verspannt, ungleich bemuskelt oder im Rücken blockiert – aus gutem Grund: Sie tragen täglich viele verschiedene, oft unausbalancierte Reiter, werden selten korrekt gymnastiziert und haben kaum Gelegenheit, sich selbst loszulassen.
Das Problem: Auf einem verspannten Pferd kann niemand korrekt reiten lernen.
Ein Pferd, das sich nicht frei und elastisch bewegt, überträgt seine Verspannung auf den Reiter. Der Anfänger kann dann weder ein Gefühl für Schub, Losgelassenheit noch für Takt oder Rückentätigkeit entwickeln – weil schlicht keine echte Bewegung da ist. Stattdessen lernt der Reiter, sich auf einem sich steif und/oder blockiert bewegenden Pferd irgendwie "festzuhalten“. Die Folge: Sitzfehler werden zementiert, Unsicherheiten verstärkt, die Hilfengebung bleibt unklar – und der Reiter denkt, er selbst sei das Problem.
Gleichzeitig leidet auch das Pferd: Wird es weiter unter instabilen Reitern eingesetzt, ohne ausgleichende Gymnastizierung, verschlimmert sich sein Zustand. Ein Teufelskreis entsteht – sowohl für Mensch als auch Tier.
Deshalb ist es entscheidend, Pferde im Unterricht regelmäßig zu überprüfen, zu lockern und ihnen Ausgleich durch korrekte Arbeit (z. B. an der Hand, im Gelände, durch Freiarbeit etc.) zu ermöglichen. Nur ein losgelassenes Pferd kann dem Reiter Losgelassenheit beibringen.
Fazit: Sitzen lernen heißt fühlen lernen – nicht kontrollieren
Reitanfänger brauchen Zeit, um ein Bewegungsgefühl zu entwickeln – kein starres „Sitzen wie eine Statue“. Der leichte Sitz ist dabei ein wertvolles Werkzeug: Er schützt das Pferd, ermöglicht dem Reiter einen angstfreien Einstieg und legt die Grundlage für echte, funktionale Harmonie. Der Dressursitz ist ein Ziel – kein Ausgangspunkt.
Wer mit dem leichten Sitz beginnt, beginnt mit Empathie. Und wer dafür sorgt, dass auch das Pferd sich loslassen darf, leistet einen wertvollen Beitrag zu einem respektvollen und gesunden Reiteinstieg.
Praxistipps für Reitlehrer: So gelingt ein pferdegerechter Reiteinstieg
Gerade im Anfängerunterricht liegt eine große Verantwortung auf den Schultern der Lehrenden. Ein guter Einstieg entscheidet nicht nur über den Lernerfolg, sondern auch darüber, ob ein Reiter langfristig mit feinem Gefühl und Verständnis reitet – oder Sitzfehler und Unsicherheiten festschreibt. Hier einige konkrete Tipps:
1. Leichter Sitz als Standard etablieren
Beginne im leichten Sitz – so lernen Reiter Balance, ohne den Pferderücken zu stören und sie können Rumpfmuskulatur entwickeln.
Übe das „Stehen in den Bügeln“ in Schritt und Trab, auch im Halten – zur Schulung der Balance.
Integriere häufige Wechsel zwischen leichtem Sitz und Stehen in den Bügeln, Leichttraben und kurzen Phasen im Dressursitz, sobald mehr Körperspannung aufgebaut ist.
2. Sitz zuerst, Zügel später
Verzichte so lange es geht auf Zügel. Reiten ohne etwas in der Hand zu halten, hilft, ein Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln.
Übe Handhaltungen mit Gummiband oder an einem Halsring, bevor ein direkter Zügelkontakt erlaubt wird.
Sensibilisiere für das Prinzip: Zügel sind nicht zum Festhalten da.
3. Pferde vorbereiten – Losgelassenheit vor Reiteinsatz
Bewege das Pferd vor dem Unterricht (z. B. freilaufend, an der Longe oder durch Bodenarbeit), damit es gelöst und locker in die Stunde startet.
Wechsele häufiger die Pferde, damit kein einzelnes Pferd überlastet wird.
Plane regelmäßige Tage zur gezielten Gymnastizierung, um Verspannungen vorzubeugen.
4. Auf Pferdewohl achten – Zeichen erkennen und reagieren
Achte auf Signale wie Schweifschlagen, Ohrenspiel, Maulbewegungen oder Wegdrücken im Rücken – sie zeigen Unbehagen an.
Schaffe eine Unterrichtsatmosphäre, in der auch der Anfänger schon lernt, auf das Pferd zu hören – nicht nur auf den Lehrer.
Zeige und erkläre, wie sich ein losgelassenes Pferd anfühlt – und warum das wichtig ist (=> Skala der Ausbildung).
5. Realistische Ziele setzen
Mache deutlich, dass ein korrekter, funktionaler Dressursitz Jahre zur Entwicklung braucht.
Vermeide Überforderung: Ein Reiter, der in einem Zwangsrahmen „schön aussehen“ soll, verliert Gefühl und Motivation ud verspannt sich.
Arbeite mit Bildern und inneren Vorstellungen – nicht nur mit Korrekturen („mehr Absatz runter“) – um das Körpergefühl zu entwickeln.
Guter Reitunterricht bedeutet nicht, den Schüler zu korrigieren, bis er „schön“ sitzt – sondern ihm zu helfen, mit dem Pferd zu fühlen.
Quellen und Fachartikel:
Münz, A., Eckardt, F., & Witte, K. (2014). Horse–rider interaction in dressage riding. Human Movement Science.
Peham, C. et al. (2001). Forces acting on the horse’s back and the influence of the rider’s seat. Pferdeheilkunde.
Clayton, H. M. (1997). Three-dimensional kinematics of the equine back in the trotting horse with and without a rider. Equine Veterinary Journal Supplement.
Girth, M. & von Peinen, K. (2008). Einfluss des Reitersitzes auf das Bewegungsmuster des Pferdes. Reitsportwissenschaften aktuell.


