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Wie reite ich ein Pferd gesund?

Gesundes Reiten – ist das überhaupt möglich? Schließlich ist das Pferd von Natur aus nicht dafür gemacht, einen Reiter zu tragen. Die Wirbelsäule ist nicht tragfähig gebaut, das Brustbein liegt nicht auf dem Boden auf, sondern "schwebt" in der Luft. Der Rücken sinkt damit bei Belastung eher durch als dass er stabiler wird. Und doch ist es möglich, ein Pferd so auszubilden und zu reiten, dass es langfristig gesund bleibt – wenn wir es systematisch auf das Reiten vorbereiten.


Doch was braucht es dazu wirklich? Muss das Pferd hohe Dressurlektionen zeigen können oder reicht es, wenn es einfach nur locker und im Gleichgewicht läuft?


Frau im Reitrock auf Pferd

Losgelassenheit – das Fundament


Den Ausgangspunkt bildet immer die Losgelassenheit. Nur ein losgelassenes Pferd kann überhaupt lernen, seinen Körper gesund einzusetzen. Losgelassenheit meint dabei nicht einfach „ruhig“ oder „brav“, sondern eine harmonische körperliche und mentale Spannung, in der der Atem fließt, die Rückenmuskeln mitschwingen und das Pferd im Gleichgewicht ist.

„Die erste und wichtigste Forderung an das Pferd ist: Es muss losgelassen sein.“– Gustav Steinbrecht, Das Gymnasium des Pferdes

Fehlt die Losgelassenheit, weil das Pferd Schmerzen hat, sich verspannen muss oder sich fürchtet, verkrampfen Muskeln, blockieren Gelenke, die Atmung wird flach, das Pferd gerät aus dem Takt – und beginnt, sich selbst zu verschleißen. Studien zeigen, dass Verspannungen im Rückenbereich und eine mangelnde Schwingung der Wirbelsäule häufig mit Taktfehlern, Lahmheiten oder Rittigkeitsproblemen einhergehen (König von Borstel et al., 2011; Clayton et al., 2013).


Geraderichten – für eine faire Lastverteilung


Das Geraderichten gehört zu den zentralen Zielen jeder pferdegerechten Ausbildung. Denn jedes Pferd hat eine natürliche Schiefe – ein Vorderbein trägt mehr Gewicht, die Hinterhand tritt ungleich unter den Rumpf, die Längsachse ist (leicht) gebogen. Bleibt das Pferd dauerhaft in dieser Schiefe, wird ein Bein dauerhaft mehr belastet. Das Risiko für Sehnenschäden, Lahmheiten oder Hufgelenksentzündungen steigt deutlich.

Geraderichten bedeutet nicht, das Pferd „auf Spur“ zu zwingen, sondern durch systematisches Reiten eine gleichmäßige Belastung aller vier Gliedmaßen herzustellen – im Schritt, im Trab, in Wendungen und auf gerader Linie.

„Was krumm geht, kann sich nicht gesund bewegen – und nicht gut arbeiten.“– François Robichon de La Guérinière, École de Cavalerie

Horizontales Gleichgewicht – das Ziel der Grundausbildung


Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass ein Pferd erst dann tragfähig sei, wenn es sich versammelt und piaffiert. Tatsächlich ist das Ziel der Grundausbildung, ein horizontales Gleichgewicht herzustellen – also den Schwerpunkt des Pferdes zwischen die vier Beine zu bringen und dafür zu sorgen, dass es nicht auf die Vorhand fällt bzw. sich auf diese (und die in die Trageerschöpfung) schiebt und seine Wirbelsäule horizontal verläuft, so lange der Reiter auf seinem Rücken sitzt. Natürlicherweise verläuft diese nämlich leicht nach vorne-unten.

„Ein Reiter muss sich bemühen, das Gleichgewicht des Pferdes zu erhalten oder wiederherzustellen.“– Alois Podhajsky, Die klassische Reitkunst

Erst wenn das Pferd in der Balance/im Gleichgewicht ist, kann es den Rumpf anheben, die Hinterhand aktiver einsetzen und den Reiterkörper tragen, ohne Schaden zu nehmen. Dabei helfen gezielte Übergänge, leichte Seitengänge, sanfte Tempounterschiede und ein Training, das Muskeln aufbaut, ohne zu überfordern. Ebenfalls sehr hilfreich ist das Kletern im Gelände.


Tragfähigkeit statt Schaunummern


Die gute Nachricht: Hohe Grade der Versammlung braucht es nicht, damit ein Pferd gesund bleibt. Viel wichtiger sind:


  • Eine funktionierende Rumpfmuskulatur, damit der Reiterkörper nicht „durchfällt“

  • Ein aktives Hinterbein, das unter den Schwerpunkt tritt

  • Ein freier Rücken, der die Bewegung durchlässt

  • Ein balanciertes Gleichgewicht, das die Gelenke schont


Ein Freizeitpferd muss nicht piaffieren, traversieren oder fliegende Wechsel springen. Aber es sollte in der Lage sein, den eigenen Körper so zu nutzen, dass das zusätzliche Gewicht des Reiters keinen Schaden anrichtet.


Was Studien sagen


Moderne Studien bestätigen die klassische Ausbildungslinie:


  • Clayton & Hobbs (2017) zeigten, dass ein aktiv untertretendes Hinterbein und ein frei schwingender Rücken entscheidend sind für Tragfähigkeit und gesunden Bewegungsablauf.

  • König von Borstel et al. (2011) fanden heraus, dass Pferde mit Losgelassenheit und Gleichgewicht deutlich seltener Lahmheiten entwickeln.

  • Die ETH Zürich konnte in Messungen nachweisen, dass Pferde unter einer ruhigen, balancierten Last (Reiter in ausbalancierter Position) weniger asymmetrische Belastungen aufweisen als bei schlecht gerittenen Übungen oder unausbalanciertem Reitergewicht.


Fazit: Gesund reiten heißt fair reiten


Gesundes Reiten bedeutet nicht, spektakulär zu reiten. Es bedeutet, dem Pferd eine faire Chance zu geben, den Reiter zu tragen – durch Losgelassenheit, Gleichgewicht und klare, verständliche Hilfen. Das Ziel ist keine Dressurprüfung, sondern ein langfristig gesundes Pferd mit Freude an der Bewegung.


Oder in den Worten Gustav Steinbrechts:

„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade – mehr braucht es nicht.“

Wobei "vorwärts" im Sinne Steinbrechts heißt: Aktives Hinterbein bei schwingendem Rücken" - nicht, wie oft missinterpretiert "renne um dein Leben".


Wenn du wissen möchtest, wie du deinem Pferd konkret helfen kannst, Tragfähigkeit zu entwickeln, melde dich gern für ein individuelles Training oder eine Analyse deines Reitens. Dein Pferd wird es dir danken – mit Gesundheit, Motivation und einem freien Rücken.


Quellen:

  • Clayton, H. M., Hobbs, S. J. (2017): The role of biomechanical analysis in equestrian sport: a review. Vet J.

  • König von Borstel, U., et al. (2011): Equine welfare: Assessment of back health, movement symmetry, and behavior. Appl Anim Behav Sci.

  • Steinbrecht, G.: Das Gymnasium des Pferdes

  • La Guérinière, F. R. de: École de Cavalerie

  • Podhajsky, A.: Die klassische Reitkunst

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